piwik no script img

Eissurfing am Ernst-Reuter-Platz

■ Regeln und der unbekannte Rest: Über eine Ausstellung des Berliner Künstlerduos Stefan Micheel und Hs Winkler alias Paint the Town Red in der Galerie KunstBank

Wer über eine Ausstellung des Berliner Künstlerduos Paint the Town Red berichten will, der muß Geschichten erzählen, viele Geschichten. Lange und kurze, schöne und eher schaurige, der muß auch mal weit ausholen, vom Thema abschweifen, bis er wieder die Kurve zur Kunst kriegt. Schon merkwürdig: Denn eigentlich sind die Arbeiten von Paint the Town Red, kurz ptt red, einfach – wohlgemerkt: nicht schlicht, sondern unspektakulär, beiläufig, kleine Störungen im gewohnten großen Ganzen. Sie schleichen sich ein ins Haus der Erinnerung, setzen sich im Gedächtnis fest wie eine Ranke am Balkon und beginnen zu wuchern, hierhin und dorthin zu wandern. Unnötig zu erwähnen, daß es oft nicht viel zu sehen gibt in einer ptt red-Ausstellung.

Es sind die Aktionen, die zählen. Zum Beispiel Eissurfing am Ernst-Reuter-Platz, mitten in der Hauptverkehrszeit. Der eine zog, der andere ließ ziehen. Stefan Micheel saß im Auto, Hs Winkler stand auf langen, mit Seilen am Wagen befestigten Eisblöcken. Los ging die Fahrt, die den beiden 1955 geborenen Künstlern am Ende beinahe eine Anzeige wegen Gefährdung des Straßenverkehrs eingebracht hätte. Ein anderes Mal, acht Jahre ist das inzwischen her, reisten Micheel und Winkler nach Alaska an den Rand des ewigen Eises, gruben dort ein Loch, bis sie auf Grundwasser stießen und versenkten darin ein magnetisch aufgeladenes Spielzeugboot. Bald darauf schloß sich das Loch – seitdem kreist das Schwimmgerät, von der natürlichen Bewegung der arktischen Eiskuppe getrieben, in weiten Bahnen unendlich langsam um den Nordpol. Irgendwann wird es, dank seines Magnetismus, den Pol erreicht haben, Zeit spielt keine Rolle. In ihrer aktuellen Ausstellung in der KunstBank, dem neuen Schauraum in der Brunnenstraße, den die Senatsverwaltung für Kultur für ihre Stipendiaten reserviert hat, präsentieren Micheel und Winkler Dokumentationen von drei umfangreicheren Kunstprojekten. Hier fangen die schaurigen Geschichten an. „M – Mord im öffentlichen Raum“, eine Serie von 77 Polaroids, zeigt akribisch recherchierte Tatorte von Morden in Berlin und New York, die die zwei mittels einer Schablone mit dem Buchstaben M markiert haben. Unscheinbare Plätze, Straßen, ein Busch im Park, wo für kurze Zeit der Horror wohnte, bevor er wieder unsichtbar wurde.

Ein ganzes Bündel von Happenings faßt der sogenannte Objekttisch zusammen. Während eines Arbeitsstipendiums in New York nahmen Micheel und Winkler eine Vielzahl von kleinen Eingriffen vor. Sie manipulierten die Halogenstrahler, die nachts die Freiheitsstatue beleuchten: Wer an diesem Abend von der Stadt aus auf das Wahrzeichen schaute, sah sie in tiefrotes Licht getaucht. Auf der Promenade am Hudson River hoben sie drei Sitzbänke aus der Verankerung und ketteten diese so aneinander, daß eine Dreiecksform entstand. Bei alldem legen die Künstler gesteigerten Wert darauf, unerkannt zu bleiben.

Ihnen geht es um die unterschwellige Irritation, die man angesichts einer um wenige Grade aus der Fluchtlinie geratenen Ordnung empfindet, häufig erst, nachdem man an der manipulierten Stelle schon wieder vorbei ist. Was war das? Und wer ist verantwortlich dafür? Ptt red sagen: Es gibt Regeln – und dann ist da noch das Andere. Ulrich Clewing ‚/B‘Bis 30. 7., Brunnenstr. 188/190, Mo. bis Fr. 14 bis 18 Uhr, Sa. 12 bis 17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen