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„Wir starten jetzt die La-Ola-Welle“

■ Bayern München besiegt den VFB Lübeck mit 2:1 / Beobachtungen von einem Show-Event

Der Stadionsprecher konnte sich gar nicht mehr beruhigen: „Zum Spiel des Jahres begrüßen wir hier auf der Lübecker Lohmühle den deutschen Rekordmeister vom FC Bayern München“. Und auf daß der bayrische Gast so richtig beeindruckt werde von der „Riesenstimmung“, inszenierte der hauptberuflich bei einem Autohaus beschäftigte Mann noch gleich ein Happening, das nicht nur er für den Inbegriff überkochender Begeisterung hält: „Wir starten jetzt die La- Ola-Welle ... und jetzt die Haupttribüne ... und jetzt der Block F.“

Wenig später liefen dann die Bayern-Spieler auf. Und obwohl mit Oliver Kahn, Thomas Linke. Lothar Matthäus, Mario Basler, Stefan Effenberg, Thorsten Fink, Jens Jeremies, Mehmet Scholl, Thomas Strunz und Giovane Elber die Stars fast vollständig fehlten, gab's für Erinnerungsphotos und Autogrammwünsche genügend Objekte der Begierde. Zuweilen erinnerte die Szenerie eher an den Auftritt einer Boygroup denn an ein Fußballspiel: So schrieben sich Paulo Sergio, Markus Babbel und Michael Tarnat die Finger wund, während ausgerechnet Carsten Jancker für Bilder mit Lübecker Kindern posierte.

Dem Vernehmen nach hatten diese den Händedruck mit dem bulligen Mittelstürmer unverletzt überstanden, als der Schiedsrichter das Spiel anpfiff. Kurz darauf erlebten sie dann die Metamorphose vom Homo Sapiens zum Carsten Jancker. Der fluchte und schrie nach einem harmlosen Foul in solch ekstatischer Rage, daß so manches Kind angsterfüllt die Hand seiner Mutter ergriffen haben mag.

Und als der Choleriker wutentbrannt den Ball in die Lübecker Ersatzbank keulte, war abermals klar, warum es einfach unmöglich ist, den FC Bayern zu mögen: Nicht nur, daß dort Carsten Jancker spielt – da er eben dort und nicht beim VFL Bochum auf der Gehaltsliste steht, trug ihm diese Aktion auch nicht einmal die gelbe Karte ein.

Umso bitterer für den VFB, daß es dem Wüterich aus Mecklenburg in der sechzehnten Minute vorbehalten war, das 1:0 zu erzielen. In der 37. Minute erhöhte Paulo Sergio auf 2:0. Der brasilianische Neuzugang vom AS Rom war gleichzeitig bester Mann auf dem Platz: Oft holte er sich die Bälle am eigenen Strafraum und wirbelte die VFB-Deckung mehrfach durcheinander. Nicht selten zwang er die Lübecker Verteidigung durch frühes Stören zu Rückpässen. Doch die sorgten erst recht für Gefahr, denn Frank Böse – als ehemaliger Ersatztorwart beim FC St. Pauli nicht unberüchtigt – kloppte die Bälle ein ums andere Mal entweder ins Seitenaus oder vor die Füße eines Münchners.

In der zweiten Halbzeit blieb Böse, der ansonsten gut gehalten hatte, mit einer Fußverletzung in der Kabine, und der VFB, bei dem besonders Neuzugang Nii Armah Wellbeck zu gefallen wußte, entfaltete mehr Druck. Stellenweise war von einem Klassenunterschied nichts mehr zu spüren. Einzig dem Ex-Gladbacher Libero Patrick Andersson war es zu verdanken, daß die Lübecker nur noch zum Anschlußtreffer durch Torjäger Daniel Bärwolf kamen. Der Schwede organisierte die Bayern-Abwehr so umsichtig, daß die Angriffsbemühungen der feldüberlegenen Hanseaten meist am Strafraum endeten.

Am Schluß durfte sich die Deutsche Sporthilfe über 100.000 Mark freuen, die Bayern hatten sich nicht allzusehr blamiert und der VFB eine ansprechende Leistung geboten. Vor dem anvisierten Aufstieg in die Zweite Liga sollte sich der Verein indes verstärkt um den harten Kern seiner Fans kümmern.

Der besteht aus lediglich zwanzig, zumeist minderjährigen Skinheads, welche die einlaufenden Bayern-Spieler mit „Asylanten“-Rufen begrüßten. Daß es sich in ihrer Vorstellungswelt hierbei offenbar um ein Schimpfwort handelt, ist schon skurril genug. Daß der geneigte Betrachter hierdurch erstmals Sympathien für die dergestalt „Geschmähten“ empfand, ist es wohl noch mehr. Christoph Ruf

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