piwik no script img

Der letzte Tanz mit dem russischen Bären

Premier Sergej Stepaschin kommt zu einer Zeit in die USA, da Rußlands Rolle als politische und wirtschaftliche Weltmacht gegen Null tendiert. Die USA wollen Rußlands Niedergang managen  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Es ist fast genau ein Jahr her, daß Al Gore, der von US-Präsident Bill Clinton den Auftrag hat, den Draht zum jeweiligen russischen Premier zu halten, nach Moskau flog, um den damaligen Premierminister Kirienko kennenzulernen. Ein Jahr und zwei Ministerpräsidenten später kommt nun Sergej Stepaschin, Rußlands amtierender Premier, selbst nach Washington. In einer schwierigen Zeit, in der das russisch-amerikanische Verhältnis die tiefste Krise seit dem Ende des Kalten Krieges durchgemacht hat. Streitpunkt war zuvörderst die Balkanpolitik der Nato, die Rußland nach langen Verhandlungen zu unterstützen bewegt wurde. „Das russisch-amerikanische Verhältnis ist wieder im Lot“, beruhigt Tom Graham, Autor des Buchs „Die Welt ohne Rußland“ und bis vor kurzem Rußlandexperte im State Department, „Gore und Stepaschin können auf der Grundlage aufbauen, die durch die Gespräche zwischen Jelzin und Clinton in Köln gelegt wurde.“

Das eigentliche Problem dieser Begegnung sieht Graham darin, daß die Kluft zwischen der Doktrin, auf der Amerikas Rußlandpolitik aufbaut, und der Wirklichkeit Rußlands immer größer wird: „Die Wirtschaft, über die Moskau gebietet, macht heute ein Drittel von dem aus, was sie Mitte der 80er Jahre darstellte. Die Rede von Rußland als Wirtschafts- und Sicherheitspartner Amerikas verkommt immer mehr zu bedeutungslosen Schlagworten. Rußland wird weder im Welthandel noch in Fragen der Sicherheit auf absehbare Zeit eine wichtige Rolle spielen.“

Dennoch stehen auf der Tagesordnung Stepaschins vor allem wirtschaftliche Fragen, darunter die Zusammenarbeit in der Weltraumtechnologie. Doch viel mehr als ein Hilfeempfänger ist Rußland für die USA derzeit nicht. „Die Rolle, die Amerika Rußland in internationalen Fragen zubilligt, steht in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen, militärischen und politischen Bedeutung Rußlands“, sagt auch James Goldgeier, Rußlandexperte am Washingtoner Brookings-Institut. Die Einbeziehung Rußlands in alle internationalen Fragen diente Goldgeier zufolge dem Zweck, dem Prestigebedürfnis der russischen Führung entgegenzukommen und sie dazu zu bewegen, die amerikanische Vision von der Gestalt Europas nach dem Kalten Krieg zu unterstützen. Doch diese Politik droht sich selbst zu überleben, urteilt Tom Graham. Rußlands Führung kann weder als Wirtschafts- noch als Sicherheitspartner die Rolle spielen, die Clinton ihr zugedacht hatte. „Es wird immer deutlicher, daß Rußland für Amerika völlig bedeutungslos ist“, resümiert Graham: „Den Niedergang Rußlands zu managen, das wird die neue Herausforderung amerikanischer Politik.“

„Mit Stepaschin kommt immerhin der potentielle neue russische Präsident nach Amerika“, glaubt hingegen Michael McFaul, Professor an der Stanford-Universität und Rußlandexperte der Washingtoner Carnegie-Stiftung für den Frieden. „Stepaschin hat die Statur und beste Aussichten, Jelzins Nachfolger bei den russischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 zu werden“. Unter diesem Gesichtspunkt sollten Clinton und Gore die Gespräche mit Stepaschin führen, dabei aber Distanz halten. „Das letzte Mal, daß die amerikanische Führung einen zu guten Eindruck von einem russischen Premier hatte, hatte zur Folge, daß Jelzin diesen prompt auswechselte.“ Die entscheidende Frage für Amerika aber ist nach McFaul nicht so sehr, wer Rußlands nächster Präsident wird, sondern ob die russischen Wahlen überhaupt stattfinden. „Daran wird am Ende Bill Clinton von der Geschichte gemessen werden: Nicht daran, ob der ABM- oder Start-II-Vertrag unterschrieben wurden, sondern daran, ob das Sowjetimperium, daß unter Bushs Regierung zu Ende ging, unter Clinton sich zu einem demokratischen Rußland entwickelte oder in Chaos und Diktatur versank.“

Wie alles in Amerika steht derzeit auch der Besuch Stepaschins in Washington unter den Vorzeichen des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs des Jahres 2000. Scheitert die Demokratisierung Rußlands, dürfte die Frage nach der Verantwortung dafür im Wahlkampf gestellt werden, und Gore wird sie zu beantworten haben. „Wer verlor China?“ wurde nach dem Sieg Mao Tse-tungs gefragt. „Entsprechend wird man fragen: Wer verlor Rußland?“ prophezeit Tom Graham.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen