: Fatale Fehleinschätzung
betr.: „Landschaft nach der Schlacht“ (Im Prinzip war die Nato-Intervention richtig. Was sie bedeutet, ist freilich kaum abzusehen) von István Eörsi, taz vom 31. 7. 99
Wenn ein Ungar die Nato-Intervention als im Prinzip richtig empfindet, dann kann ich dafür Verständnis aufbringen. Die Niederwerfung der ungarischen Revolution hat bei dem Betroffenen ein verständliches Trauma gegen alles Totalitäre hinterlassen.
Wie kann man aber glauben, die Verletzung des Völkerrechts rechtfertigt eine solche Strafaktion, wie sie die Nato durchgeführt hat. Der Autor István Eörsi glaubt, das „Menschliche“ obsiegte über das „Nationale“. Welche fatale Fehleinschätzung. Der Konflikt begann nicht mit Vertreibung der 300.000 Albaner aus ihrer Heimat, sondern mit dem abenteuerlichen Entschluss einiger Desperados, im Frühjahr 98 die Unabhängigkeit des Kosovo durch den bewaffneten Kampf herbeizuführen. Die anfänglichen Erfolge der UÇK mit ihrer Freischärlertaktik fanden die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung.
Welcher Despot läßt sich gerne von selbst ernannten Befreiern einen Teil seines Landes streitig machen? Wenn eine Nationalität das Prinzip der Gewaltlosigkeit verlässt, dann sind die Konsequenzen nicht absehbar. Die Kosovaren hatten das zweifelhafte Gück, dass für einen angeschlagenen US-amerikanischen Präsidenten der Balkan ein willkommener Anlass war, ihre Partei zu ergreifen, um sein Image zu verbessern. Die Nato hat durch ihr Eingreifen nicht der Menschlichkeit, sondern einer anderen Nationalität durch unbeteiligte, zivile Opfer zur Macht verholfen. Ich frage mich, wann begreift die Mehrheit unserer Öffentlichkeit, dass gewaltbereite Menschen die Probleme auf dem Balkan nicht lösen können? Jürgen Wilke, Backnang
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