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Gangsterbraut im Abendkleid

■ Da stellt sich doch die Frage, ob Emanzipation heute nicht irgendwie anders aussieht? Sidney Lumet hat einen Klassiker von John Cassavetes neu verfilmt: „Gloria“

Irgendjemand hat mal ausgerechnet, dass der durchschnittliche Abstand zwischen einem Film und seinem Remake bei etwa 37 Jahren liegt. So gesehen ist Sydney Lumet arg früh dran, wenn er bereits 19 Jahre später John Cassavetes Klassiker „Gloria“ ein zweites Mal auflegt. Ach, wäre das doch schon das Schlimmste, was man über diesen Film sagen könnte.

Deshalb zuerst zu den Vorteilen: Sharon Stone spielt mit.

Das allerdings ist auch ein Nachteil, denn Gena Rowlands spielt nicht mit. Oder anders gesagt: Sharon Stones Versuch, sich mit der Neuinterpretation einer der besten Frauenrollen, die jemals geschrieben wurden, endgültig im Charakterfach zu etablieren und endlich den Oscar zu gewinnen, für den sie mit „Casino“ nur nominiert war, schlägt fehl – und das nicht einmal angemessen spektakulär.

Schon das Original von Cassavetes war ein streckenweise etwas müder Versuch, dem Mafia-Genre leicht ironisch und heftig psychologisierend an die Zwangsjacke zu gehen. Den Goldenen Löwen von Venedig gewann 1980 vor allem Gena Rowlands und ihre Darstellung von „Gloria – Die Gangsterbraut“ (so der damalige deutsche Verleihtitel), die ein unschuldiges, aber zuviel wissendes Kind vor dem Zugriff des Verbrechens schützt.

Hier liegt denn auch schon die Leiche im Beton. Was im Original noch als weiblicher Emanzipationsversuch lesbar war, die Revolte von Gloria gegen die Mechanismen der Männerwelt, die zu alte Frauen und zu kleine Kinder als nutzlos aussortieren, ist 1999 ziemlich altmodisch: Emanzipation sieht zwanzig Jahre später einfach anders aus. Bräute, Gangsterbräute zumal, sind heute kein allzu attraktives Modell mehr. Da wird frau (oder auch girl) lieber gleich selbst Gangsterin. Sharon Stone gibt sich redlich Mühe, aber ihre Rolle ist so unzeitgemäß wie das langgeschlitzte Abendkleid, in dem sie zu Beginn des Films aus dem Gefängnis entlassen wird. Auch die eher tolpatschigen Mafiosi mit ihren ineffektiven Methoden wie Leute umbringen oder Leuten Angst machen, wirken vollkommen antiquiert.

Richtig schuld an dem Debakel sind aber vor allem zwei: Regisseur Sidney Lumet und Drehbuchautor Steve Antin. Lumet, der bereits 1957 mit „Die zwölf Geschworenen“ debütierte, hat seit 17 Jahren, seit „The Verdict“, keinen Film von Belang mehr zu Stande gebracht. Bei „Gloria“ reicht es nicht einmal für einen vernünftigen Spannungsbogen, eine halbwegs fetzige Verfolgungsjagd oder sonst ein Spektakel, das den Zuschauer bei der Stange halten könnte.

Drehbuchautor Steve Antin konnte in seiner Karriere überhaupt erst mit einer einzigen Glanzleistung aufwarten: Dem Drehbuch zu einem Film namens „Inside Monkey Zetterland“. Das hört man seinen Dialogen auch an.

Bei dem Versuch, „Gloria“ zu modernisieren, haben sich die beiden jedenfalls kein Bein ausgerissen: Das eher nervtötende Kind wird im Remake wegen einer Computer-Diskette verfolgt statt wie im Original wegen eines Notizbuchs. Das war's dann auch schon. Die Charaktere oder wenigstens die Strukturen des organisierten Verbrechens auf einen halbwegs aktuellen Stand zu bringen, war wohl zuviel der Mühe.

Bislang ist noch niemand auf die Idee gekommen, schlechte Filme noch einmal zu drehen. Deshalb ist Überflüssigkeit eher eine Grundeigenschaft von Remakes als ein Argument gegen sie. Das gilt natürlich auch für „Gloria“. Einerseits. Andererseits ist dieses Remake wirklich ein ganz besonders Überflüssiges. Thomas Winkler

„Gloria“. Regie: Sidney Lumet. Buch: Steve Antin. Mit Sharon Stone, Jean-Luke Figueroa, Jeremy Northam, George C. Scott u. a., USA 1999, 108 Min.

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