: „Waschsalon voller Narren“
Kaffee, Klönschnack und auch mal Party: In den Waschcentern auf St. Pauli werden nicht nur hygienische Probleme gelöst ■ Von Konstanze Ehrhardt
„Nenn mich Thomas“, sagt der große, langhaarige Mitdreißiger cool: „Auf St. Pauli nennt man keine Namen.“ Thomas ist ein echter Paulianer, und in den Waschsalons im Viertel kennt er sich aus. Reichlich tätowiert und mit einer roten Baseballmütze auf dem Kopf wirkt er salonfähig. „Ich kontrolliere den Laden hier.“ Thomas hilft im Waschcenter am Nobistor auch Neulingen beim Bedienen der Waschmaschine. „Das ist doch klar, das macht man gerne“, sagt er.
In St. Paulis Waschsalons entscheidet sich, wer waschechter Paulianer ist und wer nur Gast. „Man kennt sich hier“, sagt Hartmut Dretschke, Inhaber des Waschcenters in der Friedrichstraße. Bei der Bundeswehr hat er Wäsche zusammenlegen gelernt – „das ist ein Vorteil“. Seit drei Jahren besitzt er das Waschcenter und hat seitdem keinen Urlaub mehr gehabt. Dafür aber jeden Tag was erlebt. „Ich brauche keinen Fernseher, bei dem, was hier so los ist“. Eine Tasse Kaffee, manchmal auch Sekt, bekommen die KundInnen kostenlos an der Bar oder im Hof.
„Die Leute sollen sich hier wohlfühlen“, wünscht sich Dretschke. Die Handtücher der ganzen Herbertstraße rotieren in seinen Trommeln; „Transen, Lesben, Schwule und Zuhälter, bei mir waschen alle“. Ansonsten berät er auch gerne in Sachen Handwäsche oder gibt Tips zur Reinigung von Kaschmirpullovern. Und falls es regnet, versorgt Dretschke die KundIn fürsorglich schon mal mit einem Schirm, damit die Wäsche nicht gleich wieder nass wird.
Ein Unterhaltungsprogramm der anderen Art bietet der Waschsalon in der Hein-Hoyer-Straße. Ist die Wäsche erst mal am Rotieren, kann man flippern oder für zwei Mark Autorennen fahren. Getränke liefert der Automat, und das Radio läuft permanent. Im Waschsalon am Neuen Pferdemarkt gibts auch Fleischbrühe und Wäschesäcke aus dem Automaten. „Der Kaffee ist hier nicht so gut, dafür schmeckt der Kakao“, erzählt Karin Edel, die hier regelmäßig wäscht.
Wer um die Ecke wohnt, kann nach Hause, während die Maschine arbeitet. „Das Gute am Waschsalon ist, die Frauen kommen zurück“, grinst Jurastudent Marc Saxer. Und erklärt: „anflirten“ und abwarten, was beim Abholen der sauberen Wäsche passiert. Auch andere wichtige Probleme kann man im Waschsalon lösen. „Seegelmacher sucht Koje“ oder „In Form wie nie, frag mich wie“ – Anzeigen an der Pinnwand in der Simon-von-Utrecht-Straße. „Man gibt sich Tipps oder verleiht mal Weichspüler“, sagt Thomas vom Nobistor. Waschen ist mehr als nur Waschen – der Waschsalon ist ein Treffpunkt für alle.
„Neulich hab ich eine Party für eine Freundin gegeben“, erzählt Hartmut Dretschke. Natürlich in seinem Laden, und gewaschen wurde während der Feier auch. „So viele verrückte Leute auf einem Haufen“, sagt er zu Reiner, der hier ab und zu Wäsche zusammen legt, „da warst selbst du sprachlos.“ Reiner, nicht gerade durchschnittlich mit Totenkopfmuster auf Kappe und Hals und ganz in schwarz gekleidet, nickt: „Das war ein Waschcenter voller Narren.“
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