: Allzeit bereit für den Hack im Kornfeld
In der Nähe von Altlandsberg hat der Chaos Computer Club beim bisher größten Hacker-Festival der Bundesrepublik in der totalen Naturidylle die totale Kommunikation geprobt: Selbst auf der Iso-Matte waren die Teilnehmer noch ans Internet angeschlossen ■ Von Andreas Spannbauer
Der Ort Paulshof, etwa 30 Kilometer östlich von Berlin bei Altlandsberg gelegen, scheint zum Ort einer Invasion aus dem Weltraum geworden zu sein. Ein metallenes Raumschiff, etwa vier Meter hoch, steht inmitten einer Pferdekoppel. UV-Röhren sorgen für futuristische Beleuchtung. Um das Schiff herum haben sich über tausend terrestrische Lebewesen zusammengefunden, um dem defekten Bordcomputer der „Heart of Gold“ auf die Sprünge zu helfen. Und auch die Telekom macht mit: Ein 20 Meter hoher Sendemast – Preis: 50.000 Mark – sorgt per Richtfunk für die Internetanbindung nach Berlin.
Hier, inmitten von Pferdeäpfeln und abgeernteten Feldern, in der einzigen ostdeutschen Gemeinde, die einen Bürgermeister vorweisen kann, der ursprünglich aus Indien kommt, veranstaltet der Chaos Computer Club an diesem Wochenende das größte Hacker-Event, das die Bundesrepublik je gesehen hat. Rund 1.800 Computerfreaks sind angereist, aus Spanien, Italien, den Niederlanden und selbst aus den USA. Die meisten von ihnen sind Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, tragen kurze Hosen und Turnschuhe, schlendern lässig durch die Brandenburger Landschaft. Hacker's paradise kurz vor Berlin.
Im Hack-Center, einem Festzelt von 50 Metern Länge, sind die Teilnehmer ins Programmieren und Hacken vertieft, letzteres natürlich nur streng legal, wie die Veranstalter vom Chaos Computer Club betonen. Aus den Rechnern hängen Bauteile und Kabel, die Gehäuse sind zum Teil besprüht, neben neuen MacIntosh-Modellen stehen alte DOS-Rechner, so genannte „Dosen“. Es läuft Bob Marley. Zum Hack trinkt man Zitronentee und wirbt auf den Beinkleidern für den FC St. Pauli.
„Wir wollen Transparenz im Bereich der Datenverarbeitung fördern“, beschreibt Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club den Zweck des Festivals. Auf seiner Jacke trägt er eine Plakette, die ihn als „außerirdischen Beirat“ ausweist. „Wenn nur wenige, etwa die Großkonzerne, über Computer Bescheid wissen, dann können sie auch festlegen, wohin die Reise geht.“ Und da wollen die Hacker dann doch ein Wörtchen mitreden.
In den Workshops wird – selbstverständlich auf Englisch – über die neuesten Verschlüsselungstechniken für Telefongespräche und Datensätze debattiert. Schließlich ist unter den Gästen auch die Hacker-Legende John Gilmore, der mit der US-Telefongesellschaft derart aneinander geraten war, dass er es vorgezogen hatte, das Land zu verlassen.
Aber auch „Verschwörungstheorien“ stehen auf der Tagesordnung. Das Schicksal des Hackers Karl Koch, unlängst im Film „23“ zum Kinoereignis avanciert, dürfte dazu die Inspiration geliefert haben. Und schließlich kann auch der CCC auf den Tod des Hackers „Tron“ verweisen, der letztes Jahr erhängt aufgefunden worden war. Eine Gruppe mit dem Namen „Cypher-Punks“ bietet sogar eine Berufsberatung an: „Career-Punks – how to succeed in business“.
Nicht nur in den Zelten, auch draußen auf der Wiese geht es zur Sache: „Stefan, hast du noch eine Netzkarte da?“ Die Frage tönt während eines kurzen Platzregens unter einer der Hunderten Zeltplanen hervor, die die Hacker am Ufer eines kleinen Sees aufgeschlagen haben. Nebenan rauchen Mirko, Thomas und Max aus Jena genüsslich einen Joint. Max ist 18 Jahre jung, schreibt Programme für eine Computerfirma. Ob er sich selbst als Hacker sieht? „Nee, nur als Hobby-Programmierer“, antwortet der Junge im Grufti-Outfit, dessen Haare auf der einen Seite ausrasiert sind, während sie auf der anderen lang nach unten hängen.
Insgesamt über 200.000 Mark kostet das Mega-Event, jeder Teilnehmer steuert 150 Mark bei. Für Ordnung und Sauberkeit ist jedenfalls gesorgt. „Der Platz ist normalerweise eine Pferdewiese“, heißt es im Programm. „Verlasst die Gegend so, wie ihr sie vorfinden wollen würdet, wenn ihr ein Pferd wärt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen