: Fokussierung auf ein Teilproblem
betr.: „Fix(en) und fertig?“ von Harry Kunz, taz vom 5. 8. 99
[...] Die Kriminalisierung – welche ja auch zum allergrößten Teil die Konsumenten von relativ harmlosen und nicht abhängig machenden Substanzen wie zum Beispiel Cannabis betrifft – ist eine wesentliche, wenn nicht sogar oftmals die Ursache für die Verelendung von Opiatabhängigen! Solange sich nicht endlich auch in diesem Bereich etwas grundlegend verändert (und momentan sehe ich dafür auch bei der „neuen“ rot-grünen Bundesregierung keinerlei Anzeichen, die in diese Richtung führen), werden alle genannten Hilfsmöglichkeiten (Originalstoffvergabe, „Fixerstuben“, psychosoziale Begleithilfen) immer nur ganz am Ende von „Verelendungskarrieren“ stehen.
Es geht dabei nicht um den von Kunz konstruierten Widerspruch „Hilfen für Kranke“ gegen „Recht auf Rausch“, sondern zunächst einmal vordringlich um eine rationale und humane Drogenpolitik, und diese muss endlich unbedingt die Möglichkeit von Bestrafung von Konsumenten/Gebrauchern bestimmter, illegalisierter Substanzen ausschließen, das heißt beenden! Martin Rediker, Grüne Hilfe Netzwerk e. V., Lippstadt
[...] Immer wieder wird die Diskussion um Sucht- und Drogenpolitik von vornherein oder irgendwie beiläufig reduziert auf die Abhängigkeit von illegalen Stoffen, insbesondere Heroin, mit der Bedienung des Klischees des – mal armen, mal gefährlichen oder abscheulichen – Junkies von der Straße. Dabei wird der Blickwinkel durch die Fokussierung auf ein (durchaus relevantes) Teilproblem eingeschränkt, mit gleichzeitiger Ausblendung des gesamten restlichen Themas „Sucht in der Gesellschaft“.
Mein Verdacht ist, dass genau das der Mechanismus ist, der unsere Gesellschaft dazu bewegt, einen solch immensen Aufwand zur strafrechtlichen Bekämpfung illegaler Drogen und auch ihrer Konsumenten zu betreiben. [...] Was Not tut, ist ein ehrlicher und rationaler Umgang mit Sucht als immanentem gesellschaftlichem Phänomen.
Alles andere als hilfreich ist es, verschiedene punktuelle Ansätze der Suchthilfe (Prävention, psychosoziale Begleitung von Suchtkranken, kontrollierte Stoffabgabe, sei es Methadon oder Heroin an Abhängige) über einen Kamm zu scheren und gegeneinander auszuspielen mit der Totschussfrage: Wer soll das alles bezahlen. Dazu einige (auch punktuelle) Anmerkungen:
Die Erfahrungen des Heroinabgabeprojekts in der Schweiz haben, abgesehen von allen medizinischen und sozialen Erfolgen, gezeigt, dass in einer gesamtgesellschaftlichen Bilanz (unter Mitberücksichtigung u. a. der Kosteneinsparungen im Justizapparat und -vollzug und bei der Polizei sowie der geringeren direkten finanziellen Folgen durch Beschaffungskriminalität) die Heroinabgabe den Staat eine Menge Geld spart (zirka 50 Mark pro Behandlungstag und Patient). Dass Prävention – und zwar nicht nur in Bezug auf illegale Drogen – Sinn macht und sich auszahlt, wenn sie denn rational und ehrlich gemeint ist, braucht wohl nicht erörtert zu werden. Und dass psychosoziale Begleitung und Betreuung (nicht nur) von Suchtkranken kein Luxus, sondern eine selbstverständliche Pflicht der modernen Gesellschaft ihren Mitgliedern gegenüber ist, und zwar abseits von Kosten-Nutzen-Rechnungen, dafür muss in der Tat gekämpft werden!
Bei aller Skepsis ist die Sucht- und Drogenpolitik einer der letzten Bereiche, in dem ich mir längerfristig anhaltende gesellschaftliche und politische Veränderungen infolge des Regierungswechsel vorstellen kann und erhoffe. [...] Gerd Klausen, Berlin
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