■ H.G. Hollein: Zappenduster
Die Frau, mit der ich lebe, ist sonnenhungrig. Vor allem, wenn gar keine da ist. So mümmelten die Gefährtin und ich uns ergeben durch die Darreichungen „unseres Mitropa-Teams“, bestehend aus einem zwiebackharten Croissant, einer doppelten Lage Mettwurst („Käse is aus“) und Pflaumenmus, das die Gefährtin hasst, und rollten am Mittwoch Morgen südwärts. Um schließlich auf einem Westhang über Untergrombach im Badischen Position zu beziehen. Mich hätte ja interessiert, was es mit dem dortigen „Gockelfest“ auf sich hat, das für dieses Wochenende avisiert war, aber die Gefährtin liess mich nicht. Zur verabredeten Stunde gesellten sich dann auch Freunde aus Dortmund zu uns. Das war gut, denn G. ist Physiker und bot uns mit kreisenden Fäusten noch schnell eine Pantomime der Himmelsmechanik, derweil M., der auch Schauspieler ist, an einem Ikea-Produkt die alte Nummer mit dem Liegestuhl vorführte. Als es dann so weit war, sagte St., die G.s Freundin ist: „Mein Auge zuckt.“ Aber guter Rat war da, und mit 2,95 nicht zu teuer. Das „Sofi-Set“ von dm enthielt neben einer Brille nicht nur ein Stückchen Traubenzucker – „falls man zwischendurch abkackt“ (O-Ton M.) – sondern auch ein feingefaltetes Blättchen feuchten Toilettenpapiers mit Kamille-Extrakt. „Gönnen Sie sich mal was Besonderes“, stand auf der Packung. St. fackelte nicht lange und legte sich das Produkt aufs Auge. Das half, es wurde dunkel, wenn auch nicht still. Die Untergrombacher Grillen ignorierten den Jahrhundert-event souverän, ebenso wie die rund tausend Azubis, die – es gibt eben keinen Zufall – keine andere als die Drogeriekette dm aus allen Teilen der Republik incentivemäßig auf dem Hang über uns zusammengekarrt hatte. Die Heimfahrt erinnerte an alte Interrail-Zeiten. „Doppelbelegung“ nennt das die Bahn, aber wenigstens schützte uns die Mauer aus Menschenleibern diesmal vor den Versuchungen der Mitropa-Cuisine.
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