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Forscher im Selbstversuch

Unklare Aufgabe mit unbekanntem Ausgang: Besuch im Hamburger Atelier des Malers und Otto Dix-Preisträgers Daniel Richter  ■ Von Ulrike Bals

Ölige Schlingen winden sich über die großformatige Leinwand. Wuchernde Ranken, selbstverschlungen und grotesk verrenkt. Ein barockes Inferno explodierender Farben und Formen, hauchdünn geschichtet zu einem illusionistischen Raum. Die Bilder des Hamburger Malers und Otto Dix Preisträgers Daniel Richter kennen keine Hierarchien, kein Oben und kein Unten.

„Mein Werk ist genauso konfus wie ich selbst“, sagt der 1962 in Eutin geborene Künstler und hebt hilflos die Arme: Man möchte es fast glauben, wäre da nicht dieses hintergründige Grinsen. Vielleicht eine Irritation, hervorgerufen durch die schmale Lücke zwischen den beiden Schneidezähnen, die sein Lächeln provozierend freigibt. Richters Mimik wechselt rasch. Eben noch verwirrter Junge, ist er im nächsten Moment streitlustiger Besserwisser oder müder Bohèmien. Atemberaubend, seine Gedankensprünge, die er mit gekonnter Verbalakrobatik verbindet.

„Das Vergangene interessiert nicht“, sagt er trotzig, nach der eigenen Geschichte befragt, und verweigert kategorisch das Erinnern. Vernichtet sind die ersten Bilder des damals in Lütjenburg bei Plön lebenden 18jährigen. Selbst „17 Jahre Nasenbluten“, sein revoltierender Antikünstler-Katalog anlässlich einer Ausstellung bei „Contemporary Fine Arts“ in Berlin 1997, wischt er mit einer alles verachtenden Handbewegung fort. „Das war Punk. Pubertäres Aufbegehren.“

Reibung hat Richter auch während seines vierjährigen Studiums von 1992 bis –96 bei Werner Büttner an der Hochschule für Bildende Künste gesucht – und sucht er noch immer. Sind sich Künstler und Kritiker einig: „Die Malerei ist tot“, antwortet Richter herausfordernd: „Es lebe die Malerei!“ Sein erklärtes Ziel, der abstrakten Malerei neues Leben abzutrotzen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Besonders wenn man bedenkt, dass in den letzten 90 Jahren westlicher Kunstgeschichte nahezu jede mögliche Variation von Licht, Form und Farbe ausgelotet wurde.

Eine „unklare Aufgabe mit unbekanntem Ausgang“, so sieht es auch Richter selbst, wenn er zum Beginn des neuen Jahrtausends noch einmal die grundsätzliche Frage stellt: „Was ist Malerei?“ Strich, Tropfen, Geschmiere, Farbe, Raster – die verschiedenen Ausdrucksformen interpretiert er als elementare Bestandteile einer Sprache, deren Code er sich experimentell zu nähern sucht. Das Atelier wird zum Labor, der Künstler zum Forscher, der das fertige Bild als Endprodukt so weit wie möglich herauszögert, um der Wahrnehmung im Schaffensprozess Raum zu geben. Den Abschluss eines Gemäldes bedingen dementsprechend weniger formalästhetische Erwägungen, als schlicht die Zwangsläufigkeit der Überfrachtung. Deshalb arbeitet Richter auch meist zugleich an mehreren Bildern, um Ideen, die beim Malen entstehen, gleich thematisch separieren zu können.

Das Malen selbst empfindet er dabei eher als quälend. Befriedigend seien allein die Momente der Erkenntnis, meint Richter. Je länger er sich jedoch mit der Materie befasse und sich von den Leitbildern löse, desto mehr wachse auch die eigene Verwirrung.

Als Ergebnis seines künstlerischen Selbstversuchs der letzten zwei Jahre lässt sich eine deutliche Tendenz vom materiell Haptischen zum illusionistisch Figurativen festmachen. „Ich interessiere mich für Strukturen“, sagt Richter. Die Oberfläche sei signifikant für die Wirklichkeit. „Darüber teilt sich uns die Welt mit. Wenn man gelernt hat, die Oberfläche zu lesen, weiß man auch, was dahinter steht.“ Strukturen, zur festen Form stilisiert, werden zu Ornamenten. Darunter verbirgt sich oft eine tiefere Bedeutungsebene.

Das fasziniert Richter auch an den floralen Mustern islamischer Teppiche – die nichts anderes als verschlüsselte Abbilder des Garten Eden sind. Seinen jüngsten Arbeiten ist diese Begeisterung anzusehen. Doch sind die Pflanzen seines Paradieses ungleich wilder und von zügellosem Wachstum. Ein anarchistischer Gegenentwurf zur Erlösung des Menschen durch eine göttlich Ordnung.

„Ich glaube an nichts“, postuliert Daniel Richter, „außer an die menschlichen Vernunft.“ Jeder ist sein eigener Gärtner.

Einzelausstellung September / Oktober 1999, „Fool on the hill“, Galerie Johnen / Schöttle, Köln.

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