piwik no script img

Querspalte

■ Das Eszett

Ohne den Rechtschreibreformatoren erneut nahe zu treten, soll einmal klipp und klar dargestellt werden, dass die logischste Regel der neuen Schreibung zugleich die tragischste ist. Vom Eszett ist die Rede, dem seit seiner Geburt im Mittelalter arg gebeutelten Buchstaben. Lediglich aus ökonomischen Gründen ist die sogenannte Ligatur entstanden – klärt die Gesellschaft für Deutsche Sprache auf. Die Mönche in den Schreibstuben haben S und Zett aus Überdruss einfach zusammengeschmiert. Seitdem fristet das Eszett ein missachtetes Dasein. Die Rechtschreibreform verscheucht es nun noch aus so existenziellen Wörtern wie Kuss und Schluss, auch gebeugt wird künftig meist ohne Eszett. Aber zum finalen Eszett-Abschuss haben sich die Schriftwarte nicht durchringen können und dem Buchstaben geschützte Nischen nach langem Vokal eingeräumt. Die Schweizer dagegen haben das Eszett bereits seit Jahrzehnten aus der Schrift und sogar von den Tastaturen verbannt; es ist nur noch unter „Sonderzeichen“ fassbar. Das hat das Eszett nicht verdient.

Denn immerhin machte es in Form der Eszett-Schnitte Karriere. Die Schokoladentafel sieht auch heute noch genauso aus wie vor 20 Jahren, vierfarbig, im archaischen Silberpapier – und schmeckt nach wie vor besser ohne Brot. Ist halt eine Reliquie, die nach und nach aus dem Bewusstsein verschwindet – wie der vermutliche Namensgeber, denn wie die Eszett-Schnitte zu ihrem Namen kam, das hat die Stollwerck AG bereits vergessen.

Apropos Namen: Kein anderer Buchstabe kann so putzige Spitznamen aufweisen. Das Eszett wird Buckel-S oder Rucksack-S genannt – treffende Beschreibungen seiner nicht gerade eleganten Gestalt. Aber trotz der eigenen Namensvielfalt hat es das Eszett nie geschafft, einen gängigen Vornamen zu schmücken – bei Thomas Mann gibts einen Grigorß, aber wer kennt den schon? Dabei könnte gerade hier eine laszive Buchstabierung sinnstiftend eingesetzt werden. Man stelle sich vor: „Ich bin Markuß, m – a – r – k – u – scharfes s.“ Ganz schön kess! Aber auch dieses Privileg inklusive Pointe wurde dem Eszett verweigert. Das ist lediglich Leidensgenossen vorbehalten, die ein Eszett im Nachnamen tragen – wer kann schon wissen, wie lange noch. Der Verfall scheint unaufhaltsam. Tschüs Eszett und Vergissmeinnicht – fast gehts auch ohne! Jutta Heeß (H – 2 E –Eszett)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen