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Optimismus in der Hochsaison

Die Bevölkerung Montenegros hofft auf bessere Zeiten: in einem Bund mit einem demokratischen Serbien oder in der Unabhängigkeit  ■   Von Andrej Ivanji

Es ist Hochsaison in Montenegro, und wieder einmal sehen sich Wirtschaftsexperten der kleinen Adriarepublik mit Besorgnis erregenden Zahlen konfrontiert. Die guten alten Zeiten, als hier deutsche, österreichische und britische Touristen die malerischen Strände und atemberaubend schönen Berge besuchten, sind fast in Vergessenheit geraten. Seit Jahren sind die Speisekarten nur in serbischer und russischer Sprache ausgeschrieben, aber diesen Sommer fehlen selbst die Russen. Der montenegrinische Tourismus ist auf die meist finanzschwachen Urlauber aus Serbien angewiesen.

Trotzdem sind gerade die teuersten Hotels in der jugoslawischen Teilrepublik voll ausgebucht. Für die Luxusklasse gibt es noch immer ein betuchtes Publikum aus Serbien. In der nobelsten Gaststätte des Landes, der Hotelstadt Sveti Stefan, einer ehemaligen Fischersiedlung, knallen nicht selten die Korken von Dom Perignon für 300 Mark die Flasche. Auf dem Hotelstrand sind serbische Minister, Oppositionsführer und „Geschäftsmänner“ in der Badehose zu sehen.

Der Park, der zu diesen Hotels führt, ist von uniformierten Polizisten bewacht, aber auch in den Büschen sieht man in der Nacht die Zigaretten von Geheimagenten in Zivil glimmen. Nicht jedoch wegen der prominenten Gäste aus Serbien. Der Präsident Montenegros, Milo Djukanovic, soll sich hier in einer Villa gelegentlich von seinem alltäglichen Kampf gegen das serbische Regime erholen.

Denn Vorsicht ist angebracht. Am Anfang des Jahrhunderts schickte der damalige serbische König Petar I. Karadjordjevic gedungene Mörder, um seinen Schwiegervater König Nikola von Montenegro zu beseitigen. Dieser erwies sich jedoch als schlauer, fasste die Killer und ließ sie nach einem öffentlichen Prozess hinrichten. Auch Djukanovic, Miloševic' abtrünniger Schüler, seit Jahren ein Dorn im Auge des allmächtigen jugoslawischen Präsidenten, bangt um sein Leben.

„Milo hin, Milo her!“, nörgelt Djuro, der an seinen Feigen und dem von seiner Frau selbstgebakkenen Kuchen mehr verdient als an Milch und Mineralwasser aus Serbien. „Der ist ständig irgendwo im Ausland, aber wo ist das Geld? Nur schöne Worte bekommen wir zu hören.“ Djuro ist auch Geldwechsler, bei ihm bekommt man für eine Mark, die Parallelwährung des Landes, zwölf Dinar, das Doppelte des offiziellen Kurses.

Die einzige Frage, die sich jedoch alle Montenegriner dieser Tage stellen, wird im Wochenmagazin Monitor so ausgedrückt: „Wie soll man aus dem Gefängnis entfliehen?“ Gemeint ist die staatliche Gemeinschaft mit Serbien, das unter seinem Präsidenten Slobodan Miloševic zum Paria Europas geworden ist.

„Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob, sondern wie Montenegro aus der Föderation mit Serbien heraustreten wird. So denken wir alle hier an der Küste“, stellt der Fischer Marko fest und bestellt das nächste Bier. Zumindest an der Adriaküste ist tatsächlich kaum ein Gesprächspartner zu finden, der nicht eine saubere Trennung von Serbien wünscht.

Einer der bekanntesten und bestinformierten montenegrinischen Analytiker, Velizar Brajovic, behauptet: „Die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro waren nie besser als in Zeiten, in denen sie selbständige Staaten waren. Eine Konföderation zwischen Serbien und Montenegro könnte ein Ausgangspunkt sein, dem sich auch Makedonien anschließen könnte. (...) Eines Tages, warum nicht, auch Albanien. Das könnte der Kernpunkt einer Balkanföderation werden als zukünftiges Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ganz im Sinne des Friedenspakts, der in Sarajevo neulich unterzeichnet worden ist.“

So einfach ist das aber nicht. Der Spaltpilz, der das Jugoslawien Titos befallen hat, macht sich auch in Montenegro bemerkbar. In fünf nördlichen Bezirken, in denen es einen starken Anteil an Muslimen gibt, die sich jetzt Bosniaken nennen, melden sich Kräfte, die mit weiteren sechs Bezirken Serbiens ein autonomes Gebiet „Sandschak“ bilden wollen. Drei weitere Bezirke möchten sich notfalls direkt Serbien anschließen, sollte Montenegro seine Selbständigkeit erlangen.

Noch immer sind die Anhänger Miloševic' zahlreich. In montenegrinischen Regierungskreisen glaubt man zu wissen, Miloševic werde im September einen Militärputsch in Montenegro versuchen, obwohl er nicht die geringste Aussicht auf Erfolg habe. Doch er werde von seinen gewaltigen innenpolitischen Problemen ablenken wollen.

„Nach allem, was geschehen ist im vergangenen Jahrzehnt, sehen wir eine lose Konföderation zwischen Serbien und Montenegro als den einzigen Ausweg“, sagt der montenegrinische Justizminister Dragan Šoc. Natürlich sei ein solches Staatsgebilde nur mit einem demokratischen Serbien ohne Miloševic vorstellbar. Sollte es zu keinem Wandel in Serbien kommen, würde Montenegro gezwungen sein, ein Referendum über die Unabhängigkeit auszuschreiben. Unter allen Umständen wolle man jedoch ein Blutvergießen vermeiden, deshalb werde die montenegrinische Regierung keine übereilten Schritte machen.

Trotz der angespannten politischen Situation kann nichts den Optimismus der Montenegriner anfechten. Hört man nicht da und dort schon an der Küste ein englisches Wort? Sind es die ersten KFOR-Offiziere und Zivilbeamte, die sich aus dem Kosovo für einige Tage an der Adria erholen wollen? Jedenfalls lernen die MontenegrinerInnen Englisch und Deutsch, und die Speisekarten werden von Russisch wieder auf andere Weltsprachen umgeschrieben. Im Touristenparadies hofft man auf bessere Zeiten in einem selbständigen Staat, wo man sich im Hochsommer nicht über einen möglichen Bürgerkrieg, sondern über das Wetter, Wein und Fisch unterhalten wird.

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