: Perfekte Katastrophen
Travestitische Nestbeschmutzer ersten Ranges: „Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“ feierte Premiere im Thalia Theater ■ Von Ulrike Bals
Beiden ersten Takten der Musik rollt der Vorhang auf und gibt den Blick frei auf ein Bühnengemälde, das einem Fantasy-Comic entnommen scheint. Der schwarze Schattenriss eines burggekrönten Berges thront düster über dem mondhellen See. Wie ein Wirbelwind fegt ein Derwisch über die Bühne: jener böse Zauberer Rothbart, alias Velour Pilleaux, genannt „das Kissen“ alias Paul Ghiselin, der die schöne Prinzessin Odette in einen Schwan verwandelt hat. Zum Kummer des jagdlustigen Prinzen Siegfried und dessen Knecht Benno, die dem Liebreiz der verhexten Federbraut verfallen sind.
Doch ist dies längst nicht der einzige Zauberstreich des Abends. Ein Blick unter die brettsteifen Tutus der Ballerinas enthüllt, was hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Das spitzentanzende Geflügel in Tschaikowskys Schwanensee ist männlich. Les Ballets Trockadero de Monte Carlo sind mithin eine delikate Angelegenheit, besonders für Kenner des Genres. Mit ihrer Premierenvorstellung im Thalia Theater am Donnerstag Abend hat die weltweit tourende Truppe nun erstmals auch in Deutschland der Emanzipation eine Bresche geschlagen: Spitzentanz ist keine rein weibliche Domäne mehr.
Die 1974 von einigen Ballett-enthusiasten in New York gegründete Off-Off-Broadway-Gruppe darf sich zweifellos als Nestbeschmutzer ersten Ranges wähnen. Unter permanenten Lachsalven aus dem Publikum persiflierten die Trocks erbarmungslos die hehren Sphären klassischen Balletts und entlarvten deren verklärte Protagonisten als eitle Mimosen: wenn etwa Bertha Vinayshinsky, genannt „die Anarchistin“, alias Damian Thibodeaux, als sterbender Schwan wie an unsichtbaren Fäden hängend über die Bühne stakst. Bis der meist eher verdutzt als leidend dreinblickende Entenvogel schließlich plump zusammensackend die dramatisch überspitzte Todespose einnimmt, heißt es zunächst kräftig Federn lassen.
Diese sicherlich einzigartige Interpretation des berühmtesten Solostückes Anna Pavlovas, 1905 von Michel Fokine eigens für die Primaballerina des russischen Balletts choreografiert, ist pure Blasphemie. Und auch das Kokettieren der Diva mit dem Publikum, verlegen lächelnd und doch zutiefst applaushungrig, ist eine durch und durch doppelzüngige Hommage.
Von der ersten bis zur letzten Minute haben die Tänzer das Publikum auf ihrer Seite – mit Klatschen, Pfeifen und Lachen. Traves-tie kann eben immer noch und immer wieder komisch sein. Doch weit über den Slapstick hinaus beweisen die Trocks unter der künstlerischen Leitung von Tory Dobrin und Ballettmeisterin Pamela Pribisco ein feines Gespür für die richtige Mischung aus hintergründiger Komik und tänzerischem Können, tollpatschiger Clownerie und graziler Leichtigkeit.
Beeindruckend die Leistung der Tänzer, jenseits bloßen Imitierens den Ausdruck ins Groteske zu übersteigern. Hier überzeugt vor allem Svetlana Lofatkina, alias Fernando Medina-Gallego, in der Rolle der Odette. Großartig die Schwindel erregenden Pirouetten der Fifi Barkova, alias Manolo Molina, in dem spanisch anmutenden Carmen-Thema „Paquito“. Zur Maske des Abends sollte jedoch der blässliche Jüngling Igor Teupleze, alias Matthew Carter, gekürt werden. In ihm vereinigen sich auf geradezu vollendete Weise die Eigenschaften des Unmannes, wie ihn die Welt des klassischen Balletts liebte.
Unverkennbar, dass es sich hier durchweg um Ballett-Profis handelt, technisch und inhaltlich. Der Blick der Eingeweihten durchdringt alle Gesten und Posen. Es sind die scheinbar absichtslosen Fehltritte und fast nebensächlich eingestreuten Katastrophen im perfekten Ganzen, mit dem die Trocks den Lachnerv treffen. Genau das ist das Geheimnis ihres subtilen Witzes: Die fruchtbare Verschmelzung von beißendem Insider-Spott und ironischer Selbstbetrachtung.
noch bis 5. September, So – Do 20 Uhr, Fr + Sa 21 Uhr, Sa auch 17 Uhr, Karten unter Tel. 32 81 44 44
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen