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Industrie goes Antike

■  Das Amphitheater auf der Abraumhalde ließ Arges befürchten, doch Ulrich Grebs „Sudden Death“ überzeugte mit Standortironie

Gefrorene TV-Bilder des gefallenen Global Players werden zu Ikonen des modernen Mysterienspiels

Die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) hat es in zehn Jahren geschafft, die Ruhrgebiets-Kloake Emscher wieder zu einem richtigen Fluss und Solartechnik auch in Gelsenkirchen zu einer bekannten Vokabel zu machen. Im Jahr ihres Finales aber präsentiert sich die IBA vor allem als Kulturveranstaltung, die die Industriebrachen der Region flächendeckend mit „Events“ überzieht, und so hält man es fast für eine Kunstinstallation, dass sich der Förderturm der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop noch dreht.

Unter Tage wird hier wirklich noch gearbeitet – direkt nebenan gibt es aber schon wieder Kultur. Hundert Meter hoch erhebt sich der schwarze Buckel der Abraumhalde Haniel zwischen Bottrop und Oberhausen über dem platten Revier: eine imposante Mondlandschaft aus schwarzem Bergematerial, der ein riesiges Kreuz zusätzlich Erhabenheit verleiht. Sogar der Papst war schon hier oben. Jetzt ist die Halde voll und will gestaltet werden – und weil das Ruhrgebiet so wahnsinnig innovativ ist, hat man mit IBA-Mitteln ein Amphitheater drauf gebaut. Die Wurzeln des Theaters und die Wurzeln des Bergbaus in einer Location symbolisch vereint, oder so.

Eröffnet wurde die von 750 Plätzen aus zu bestaunende Open-Air-Bühne vergangene Woche mit einer Inszenierung des Theater Oberhausen. „Sudden Death“ ist eine aktualisierte Version von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“: die Parabel von dem reichen Geschäftsmann und dem Tod sei als „repräsentativer, welthaltiger Stoff“ der „archaischen Weite“ der Bühne angemessen, so Intendant Klaus Weise in der Pressemitteilung. Die Eröffnungsreden von IBA-Chef Karl Ganser und dem Bottroper Bürgermeister im Zelt nebenan klangen schon von weitem nach „Standort“, „Zukunft“ und „Imagefaktor“.

Dann rutschen und röhren die Busse mühsam die schlammige Halde hinauf – und oben weicht die leichte Genervtheit angesichts der „Wir an der Ruhr gemeinsam nach vorn“-Rhetorik einem befreienden Lachen. Dort begegnet man nämlich einer Kopie des Bottroper Bürgermeisters Rolf Mautz, die, begleitet von lokalen Wirtschaftsgrößen und einem Filmteam, aufgeregt auf einem langen, roten Teppich hin und her läuft. Eine weiße Limousine schiebt sich heran, und der Bottroper Jedermann entsteigt: Ein Großinvestor, gekommen, um den Grundstein für einen „Garten der Lüste“ auf ebenjener Industriebrache zu legen, mit Goldfischzucht und 10.000 Arbeitsplätzen für die Region. Applaus!

Nach einer wunderbaren Parodie auf das Genre der Strukturwandel-Phrasendrescherei führt der glatzköpfige Jedermann (Felix Vörtler) das Publikum zum Empfang ins Amphitheater. Hier setzen alle goldene Pappkronen auf, und es kommt schon der schönste Moment des Abends: „Wir sind die Zukunft“, ruft der Jedermann, und das Publikum schreit freudig mit. Nach so viel Selbstironie kann man dann auch wieder zugeben, dass die Halde Haniel wirklich eine eindrucksvolle Kulisse und das Amphitheater ein schöner Spielort ist.

Ein Spielort, der mit seinen kargen Betonstufen und der runden Spielfläche eher sachlich als monumental wirkt, und den Regisseur und Autor Ulrich Greb mit Sinn für Effekte, aber ohne falsches Pathos bespielt hat. Sein Stück „Sudden Death“ erzählt knapp und klar die alte Geschichte von der plötzlichen Begegnung mit dem Tod. Der Jedermann, ein Global Player auf der Höhe seiner Macht, wird in den Festlichkeiten anlässlich seiner neuesten Investition zunächst von der vorwurfsvollen alten Mutter gestört. Dann schlurft der Tod selbst heran und will den arroganten Kapitalisten holen. Auf Unglauben folgt Panik, auf vergebliche Bestechungsversuche Verzweiflung; Geliebte und Geschäftsfreunde verlassen ihn, und der Konzernchef sackt zu einem jämmerlichen Bündel zusammen, ständig verfolgt von einem Fernsehteam. Auf einer großen Leinwand sieht man die Geschehnisse auf der Bühne verdoppelt und immer wieder im Standbild angehalten: Was könnte einem mediensozialisierten Publikum besser den allegorischen Charakter des Mysterienspieles versinnbildlichen, als diese zu Ikonen gefrorenen Momentaufnahmen?

Das befürchtete überfrachtete Großprojekt ist die Eröffnung des Bottroper Haldentheaters nicht geworden: Stattdessen zeigte das Theater Oberhausen eine solide Eröffnungsinszenierung für seine neue Sommerspielstätte. Es fragt sich nur, was mit den vielen ambitionierten IBA-Projekten passiert, wenn die Bauausstellung im nächsten Jahr vorbei ist. Aus dem Etat der Kommunen wird die neue, schöne Eventkultur an der Ruhr wohl nicht bezahlt werden können. Elke Buhr

„Sudden Death“. Text und Regie: Ulrich Greb, Theater Oberhausen auf der Halde Haniel, Bottrop, täglich außer montags bis 19. September

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