: Teufel im Dunst
Die bulgarischen Laboranten von Sfumato gastieren mit häretischen Texten auf Kampnagel ■ Von Ralf Poerschke
„Sfumato“ nennt man eine erstmals von Leonardo da Vinci angewandte Maltechnik, die der Materialität der Luft Ausdruck verschafft. Mit Hilfe einer leicht weiß eingetrübten Lasur legt der Künstler einen Dunstschleier über die Dinge und verschmilzt das Körperhafte mit dem Hintergrund. Was Paul Klee sehr viel später wortwörtlich postulierte, haben da Vinci und seine Schule quasi vorweggenommen: Kunst als Methode, Unsichtbares sichtbar zu machen. –
Sfumato nennt sich Bulgariens einziges staatliches Theater, das einen unkonventionellen Weg beschreitet, abseits der sonst gebotenen Schwänke, Politsatiren und national gesinnten Dramatik. Als sich der Kommunismus öffnete, nahmen Margarita Mladenowa und Iwan Dobtschew Abschied vom überkommenen Repertoiretheater und machten sich mit Sfumato selbständig. Unmittelbar in die postkommunistische Wendezeit fiel die erste Premiere am 24. Dezember 1989, Anton Tschechows „Möwe“ wurde gegeben, und in der Pause erfuhr man von der Ermordung der rumänischen Herrscher-Familie Ceausescu. Zunächst spielte die experimentierfreudige Gruppe im Kulturpalast von Sofia, später fand sie Unterschlupf ganz oben unter dem Dach des Nationaltheaters; erst seit zwei Jahren hat Sfumato ein eigenes Haus. 24 festangestellte Mitarbeiter halten den Spielbetrieb am Laufen.
Und der ist aufwendig, vor allem was die Vorbereitung betrifft: Jedes neue Projekt wird nach dem Laborprinzip in verschiedenen Ateliers gleichzeitig angegangen. Dann treffen Mladenowa und Dobtschew eine Auswahl unter den Schauspielern. Auf „Expeditionen“ sammeln sie Material und ziehen Experten hinzu: Philosophen, Sprachforscher, Volkskundler. Das eigentliche Stück entsteht erst beim Proben. Dieser Prozess kann sich über ein Jahr hinziehen.
Alltag, kulturelle Trends und aktuelle Politik spielen für die Arbeit in dieser Werkstatt keine Rolle. Bei Sfumato geht es immer ums große Ganze – und seinen Ursprung. „Naivistische Träume von der Erschaffung des Menschen zwischen dem Himmel und der Erde“ ist ihr Stück Apokryph untertitelt, das sie heute und morgen beim Sommertheaterfestival auf Kampnagel den Hamburgern vorstellen. Es basiert auf Texten bulgarischer Häretiker, die teilweise bis auf das 11. Jahrhundert zurückgehen. Von Generation zu Generation wurden diese Geschichten weitererzählt, voller Fantasie, Humor und Erotik und stets in aller Schärfe gegen die orthodoxe Kirche gerichtet. „Die als Ketzer verfolgten Bogumilen lebten in kleinen Gemeinschaften unter freiem Himmel“, berichtet Regisseurin Mladenowa, „begingen ihre Riten, begrüßten morgens die Sonne und lebten sexuell ausschweifend.“ Das Leben auf Erden betrachteten sie als Dienst am Fleische, dessen Schöpfer sie nicht in Gott, sondern im Teufel sahen; dem Herrn ein Wohlgefallen konnten die Bogumilen schließlich noch im Jenseits sein.
Aufgeschrieben und gesammelt wurden die Geschichten, die mit denen der Bibel im Streit lagen, erst Anfang des 19. Jahrhunderts von slawischen, deutschen und französischen Gelehrten. In Leipzig liefen die Fäden zusammen, doch an eine Veröffentlichung in Deutschland war nicht zu denken. „Eine erste Ausgabe erschien kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Paris“, erzählt Sfumato-Gründer Dobtschew, „und löste selbst dort einen Skandal aus.“
Die Texte sprechen die Sprache des einfachen Volkes; grammatikalische Regeln finden sich konsequent ignoriert. Die Sfumato-Inszenierung betont über die inhaltliche Sprengkraft des apokryphen Materials hinaus besonders seine Musikalität und seinen Rhythmus. Dunkel, surreal und manchmal ekstatisch ist der neunteilige Bilderreigen, den ein 14-köpfiger Schauspieler-Trupp dazu in Bewegung setzt.
Das archaische Unternehmen Sfumato wirkt ein wenig verdächtig, wenn Mladenowa eine „Krise des Geistigen“ konstatiert, wenn der theatralische Ausweg versuchsweise in Mythen und Archetypen und an den kulturellen Wurzeln gesucht wird. Die Erkenntnisse bleiben unscharf, aber sie sollen es auch sein, denn es geht ja letztlich um genau den geheimnisvollen Dunst zwischen Gegenstand und Betrachter.
heute und 1. September, jeweils 20.30 Uhr, k2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen