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Einer, der versucht, sich selbst treu zu bleiben

betr.: „Freundlicher Autist“ (Reportage zu Jürgen Trittin), taz vom 24. 8. 99

Dieser Bericht ist ein Beispiel dafür, wie in diesem Land mit Menschen umgegangen wird, die sich nicht genauso wie die Mehrheit verhalten. Oft werden sie einfach pathologisiert, diskriminiert, desavouiert oder zum Sündenbock gemacht. Was dahinter steckt, ist eine weitverbreitete Angst vor allem Fremden, das heißt vor dem Anderssein im Vergleich mit der Mehrheit.

Die Mehrheit ist immer richtig und hat immer Recht. Natürlich schlägt sich die Mehrheit immer auf die Seite der Macht, auf die sichere Seite. Das reduziert die Angst und gibt einem automatisch Recht, damit ist man unter Seinesgleichen und fühlt sich sicher. Wenn man schon selbst keine Macht hat, sollte man sich ihr tunlichst unterwerfen und sich nicht mit ihr anlegen. Dieser Kleinmut, der manchmal auch Opportunismus ist, ist leider in unserem Volk sehr verbreitet und führt so zu einer unerträglichen Intoleranz gegenüber allem Andersartigen.

[...] Was Jürgen Trittin betrifft, so denke ich, dass er Stärken und Schwächen hat, wie andere Politiker auch, mit dem Unterschied, dass er die sogenannte Diplomatie nicht so beherrscht oder anwendet wie zum Beispiel einige seiner Parteifreunde. Er ist jedoch ein Grüner, der tatsächlich versucht, sich selbst treu zu bleiben und grüne Politik gegen stärksten Widerstand, zum Beispiel der Atomlobby und Teilen der SPD, durchzusetzen. Dafür bekommt er nicht etwa Dank, sondern auch noch den Widerstand seiner eigenen Partei zu spüren, die so auf seinem Rücken ihren eigenen Opportunismus ohne schlechtes Gewissen ausleben kann. Einem, der zum Sündenbock gemacht wurde, lässt man keine Schwäche durchgehen.

Gerade die, die den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen, um etwas zu verändern, tragen zur Entwicklung einer Gesellschaft bei. Heidrun Veidt, Bochum

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