: Schweden drückt auf den Aus-Knopf
taz-Serie „Jeden Tag ein guter Grund für den Atomausstieg“: 1980 hatten die SchwedInnen für den Ausstieg gestimmt. Nun wird am 1. Dezember der erste Reaktor stillgelegt: Barsebäck ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff
„Das ist ganz einfach. Man drückt nur auf einen Knopf.“ Sonie Johansson, Betriebschef des Atomreaktors Barsebäck 1, oder einer seiner Kollegen, die dann Schicht haben, wird es sein, der am 30. November pünktlich um Mitternacht das vollziehen soll, was die SchwedInnen vor knapp zwei Jahrzehnten in einer Volksabstimmung beschlossen hatten: den Ausstieg aus der Atomkraft.
Der Knopfdruck, der dann technisch vollzieht, worüber politisch wie juristisch so lange gestritten wurde, wird für die schwedische Energieversorgung insgesamt kaum etwas bedeuten. Die 600 MW, die der Reaktor maximal ins Netz einspeisen konnte, so er denn lief, sind ein Klacks im Gesamtenergiehaushalt des Landes, auch wenn Atomstrom für mehr als 45 Prozent der gesamten Stromerzeugung steht. Doch der Symbolwert des Fingerdrucks dürfte nicht zu unterschätzen sein.
Dem ersten Reaktor von Barsebäck soll binnen 18 Monaten auch der zweite folgen, sodass für die DänInnen der atomare Stein des Anstoßes, der da 25 Jahre direkt vor den Toren ihrer Hauptstadt lag, wenn schon nicht verschwunden, so doch nur noch strahlende Ruine ist. Doch wann die anderen drei AKWs mit ihren insgesamt 10 Reaktoren verschrottet werden, steht in den Sternen. So hatten sich die SchwedInnen 1980 den Atomausstieg eigentlich nicht vorgestellt: Eine Abschaltung des letzten Reaktors spätestens Silvester 2010 hatten sie beschlossen. Dies wird nicht einzuhalten sein.
Dafür haben mit konzeptloser Energiepolitik und kraftvoller Verzögerungstaktik alle Parlamente und Regierungen gesorgt, die sich die SchwedInnen seit 1980 gewählt haben. Und wäre nicht die grüne „Miljöpartiet“ in der vergangenen Legislaturperiode in die Rolle eines Züngleins an der Waage gerückt, so hätten die SozialdemokratInnen womöglich bis ins nächste Jahrtausend weiterwursteln können.
Der Druck auf den Aus-Knopf wird nämlich nicht billig und bringt Ärger mit Wirtschaft wie Gewerkschaften. Er wird zunächst Arbeitsplätze kosten, die private Betreiberfirma des AKWs muss entschädigt werden, und in der Bevölkerung werden Erwartungen geweckt, dass es nun mit dem Ausstieg weitergeht. Dies würde allerdings das Konzept einer neuen Energiepolitik erfordern, die bislang nicht einmal in Umrissen zu erkennen ist. Je weiter zurück im historischen Nebel Harrisburg, die Volksabstimmung von 1980 und Tschernobyl verschwinden, desto „unnötiger“ schien den meisten PolitikerInnen ein Vollzug des Abstimmungsergebnisses.
Zwar wurde der Hinweis auf die angeblich besonders sicheren schwedischen AKWs immer wieder durch Störfälle desavouiert – gerade Barsebäck steuerte 1992 einen der ernstesten „Störfälle“ in Westeuropa zur Atomgeschichte bei –, zwar hat man das Atommüllproblem noch nicht einmal theoretisch gelöst. Doch galt dies Politik wie Wirtschaft lange nicht als Grund, Volkes Beschluss auch umzusetzen. Eine gigantische Kapitalverschwendung sei der Ausstieg, die neue Generation, die mittlerweile herangewachsen und vermeintlich weniger atomkritisch sei, müsse neu abstimmen. Notfalls, bis das Ergebnis stimme.
Für Sydkraft, den Betreiber von Barsebäck, der mittlerweile an den Marionettenfäden des deutschen Hauptaktionärs PreussenElektra hängt, käme dies ohnehin zu spät. Nachdem man über ein nationales Gerichtsverfahren gegen das Stilllegungsgesetz nicht zum Ziel gekommen war, hat man jetzt die EU-Kommission angerufen.
Schwedens Regierung scheint sich dagegen sicher zu sein, auch von Brüssel nicht noch kurz vor dem Ziel gestoppt zu werden. So sicher, dass man keinerlei Eile zeigte, in ernsthafte Verhandlungen über die Entschädigung einzutreten. Der in Europa immer mehr deregulierte Strommarkt verspricht in einer ersten Phase ein insgesamt niedrigeres Preisniveau, was auch den Budgetposten für das Stilllegen von Barsebäck schrumpfen zu lassen verspricht. Es wird wohl ein Tauschgeschäft geben, bei dem Sydkraft als Entschädigung neben Kronen und Öre auch Ersatzenergie aus einem AKW der staatlichen „Vattenfall“ erhält.
Wird man sich nicht einig, so Stockholms Taktik, soll Sydkraft eben vor Zivilgerichten nachweisen, welchen Schaden man genau durch ein vorzeitiges Abschalten des steuerlich abgeschriebenen und reparaturanfälligen Barsebäck-Reaktors erleidet. Eine Verhandlungslinie, die vor allem PreussenElektra gar nicht gefällt: Hatte man sich dort vom Aktieneinkauf bei Sydkraft doch vermutlich erhofft, daheim in Deutschland die Bevölkerung durch den teuren Ausstiegsversuch Schwedens abzuschrecken. Nun sieht es eher so aus, als würde Barsebäck das Gegenteil beweisen.
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