piwik no script img

„Gott ist mein bester Freund“

■  Hate him now: Der Plattenmillionär Sean Combs alias Puff Daddy ist der meistgedisste Mann im HipHop-Business. Der Ramschverwerter des Rap über seine diversen Rollen als Produzent, Entertainer und Vorbild, die Legitimität des Song-Recyclings und seine religiösen Gefühle

„Ich bin angetreten, den HipHop nach vorne zu bringen. Aber nun habe ich ihn zurückgeworfen“

taz: Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Sean Combs und Puff Daddy?

Puff Daddy: Den muss es geben, denn das sind zwei völlig verschiedene Personen. Puff Daddy ist ein Künstler, ein Entertainer, während Sean Combs eher dem Typen von nebenan entspricht. Ein schüchterner, zurückgezogener Mensch, der aber auch aus der Haut fahren kann. Und wer könnte sich davon schon ausnehmen? Sean Combs ist wichtig für mich. Er hält mich am Boden, denn wenn ich mir manchmal Puff Daddy anschaue, denke ich: „Mann, was ist denn das für ein durchgeknallter Typ?“

Ist Puff Daddy also ein Cartoon-Charakter?

Ja, manchmal kommt er mir tatsächlich so vor, und ich frage mich dann, was dieser Typ mit mir und meinem Background zu tun haben soll. Aber wie gesagt, Puff Daddy ist ein HipHop-Entertainer, keine wirkliche Person. Der Mensch hinter Puff Daddy ist Sean Combs. Es mag verrückt klingen, aber so halte ich die beiden auseinander. Wenn ich auf der Bühne stehe und den Leuten eine Show präsentiere, die sie umhaut, werde ich zu Puff Daddy – deshalb existiert er. Puffy ist ein Teil von mir, mehr aber auch nicht. Allein wäre er gar nicht lebensfähig.

Spiegelt Ihr neues Album „Forever“ den Widerstreit zwischen Puff Daddy und Sean Combs?

Nun, auf dieser Platte zeige ich alle Seiten meiner Persönlichkeit – die gute, die schlechte und die abgefuckte. Anders als auf dem ersten Album beziehe ich auf „Forever“ auch meinen Glauben mit ein, also eher die Sean-Combs-Seite meines Charakters, die irgendwie ihren Weg auf diese Platte gefunden hat. „I Hear Voices“ ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist ein sehr ernster Song, der von inneren Stimmen handelt. Sie wissen schon, diese Stimmen, die einen bestärken oder von bestimmten Sachen abraten. Sie sagen mir, dass ich immer ehrlich zu mir selbst sein muss, damit ich nicht missverstanden werde.

Und auf wen bezieht sich der Song „Best Friend“?

Auf Gott natürlich. Gott ist mein bester Freund, und dieser Song beschreibt mein Verhältnis zu ihm.

Sie waren zuletzt vor allem hinter den Kulissen tätig. Jetzt veröffentlichen Sie ihr zweites Soloalbum. Haben Sie genug vom Produzentendasein?

Auf keinen Fall! Ich werde weiterhin als Produzent tätig sein. Der Hauptgrund bestand darin, dass ich unbedingt zurück auf die Bühne wollte, um ein paar Shows zu spielen und endlich mein Publikum wieder zu sehen. Es ist mir aber wichtig, dass ich zu gleichen Teilen Performer und Produzent bin, beide Rollen dürfen nicht aus dem Gleichgewicht geraten.

Hat sich das Gewicht in letzter Zeit nicht sehr zu Gunsten des Produzenten verlagert?

Stimmt. Der geschäftliche Aspekt hat mich viel Zeit für andere Projekte gekostet, schließlich besitze ich einige Firmen, für die ich verantwortlich bin. Also habe ich der Hazardous Company die Leitung übertragen, um den Kopf frei zu haben. Man muss Kreatives und Geschäftliches trennen, sonst läuft nichts. Aber ich glaube, dass meine kreativen Seiten, das Produzieren und Performen, nicht zu trennen sind. Sie sind je eine Seite derselben Medaille, und das mit dem Gleichgewicht erledigt sich immer irgendwie von selbst.

Sie haben eine Managementfirma, eine Modekette, Restaurants, ein Label und vieles mehr. Was für Projekte kann man in naher Zukunft noch erwarten?

Nun ja, ich habe ein Buch geschrieben, bringe eine neue Modekollektion heraus, und demnächst wird meine Zeitschrift, das Notorious Magazine, veröffentlicht. Das ist wohl das größte meiner neuen Projekte, ein Lifestyle- und Entertainment-Magazin für junge, dynamische Leute.

Wo sieht der Musiker Puff Daddy eigentlich seine wichtigsten Einflüsse?

Ich würde sagen, dass mich besonders Marvin Gaye, Run DMC und Leute wie Slick Rick, Biggie und Maze beeinflusst haben. Diesen Künstlern hört man an, dass ihre Musik ehrlich ist und von Herzen kommt. Und das ist auch für mich das Wichtigste.

Sie werden oft als geistiger Dieb bezeichnet, der sich die Songs anderer Leute einverleibt und sie kräftig recycelt. Wie gehen Sie damit um?

Ich denke, dass diese Kritik ungefähr so relevant ist wie ein Sandkorn in der Wüste. Wenn man mir vorwirft, zu viele Samples zu verwenden, dann kann ich nur sagen, dass ich wenigstens weiß, wo ich gute Samples finde. Es ist nicht mein Ziel, als weltbester Produzent oder Künstler geehrt zu werden. Ich will die Leute unterhalten. Das ist alles, was für mich zählt.

Wie kann ich auch etwas anderes machen? Schließlich bin ich mit dem HipHop groß geworden, und im HipHop werden nun mal alte Platten gesampelt. Das war schon immer so, auch bei der allerersten Rap-Single, die es bis ins Radio geschafft hat. Das war „Rapper's Delight“ von der Sugarhill Gang, und die sampelten Chic. Wenn man alle Rap-Platten zusammen nimmt, kommt man bestimmt auf einen Sample-Anteil von achtzig Prozent.

Entschuldigung, aber wir kommen nun mal aus der Inner-City, wo die Eltern zu arm sind, um ihren Kindern Schlagzeugstunden zu bezahlen oder ihnen ein Schlagzeug zu kaufen. Es tut mir sehr Leid, aber wir alle haben nie eine Musikschule besucht. Wir hatten nichts, außer ein paar alten Schallplatten, und dadurch habe ich Sampeln und Produzieren gelernt – und ich bin stolz darauf.

Ja, ich bin stolz auf meine Musik, stolz darauf, dass ich aus den Alben von gestern die Musik von heute mache und der neuen Generation damit ein Stück Musikgeschichte vermitteln kann. Wenn sie mich als Dieb beschimpfen, sollten sie sich überlegen, dass ein Dieb niemals zugeben würde, gestohlen zu haben. Wie kann ich Sting bestohlen haben, wenn er mich anruft und nachfragt, ob ich mit ihm auftreten will, weil ihm meine Version seines Songs so gut gefällt? Wieso, glauben Sie, spielt ein Rockgott wie Jimmy Page mit mir? Weil ich etwas ganz Besonderes aus dem Song gemacht habe und er mir dafür seinen Respekt zeigt – darum. Wenn also jemand meint, mich als Dieb beschimpfen zu müssen, dann sage ich ihm, dass er Jimmy Page oder Sting anrufen soll, um zu fragen, was sie davon halten. Ich habe kein Verständnis für diesen Hass, mit dem mir die meisten Kritiker begegnen. Sie müssen ja nicht alles lieben, was ich tue. Aber Hass hat noch nie zu etwas Positivem geführt, oder?

So lange man zu seinen Einflüssen steht, ist das Recyceln also völlig legitim?

Natürlich.

Sie haben Größen wie Aretha Franklin oder Jennifer Lopez produziert. Gibt es jemanden, mit dem Sie unbedingt einmal arbeiten möchten?

Ja, Marvin Gaye.

Ich dachte eigentlich an lebende Personen.

Der einzige Mensch, mit dem ich wirklich gern arbeiten würde, ist Marvin Gaye. Ob er lebt oder nicht, ist mir egal. Es wäre mein größter Traum. Ich bin ein Träumer, aber ich glaube auch, dass Träume wahr werden können. Keine Ahnung, wie ich es jetzt erklären soll, aber ich weiß, dass es passieren wird. Eines Tages, nachdem ich ein langes, glückliches Leben gelebt habe und mit 200 Jahren verstorben bin, komme ich in den Himmel. Dort werde ich radikal verjüngt, sagen wir mal, ich bin wieder 21, und dann – ich weiß es ganz genau –, dann werde ich mit Marvin Gaye Musik machen.

Demnach haben Sie keine Angst vor dem Tod?

Nein, warum auch, schließlich komme ich ja in den Himmel. Aber ich glaube nicht, dass ich in der nächsten Zeit sterben werde, also brauche ich mir darüber auch keine Gedanken zu machen.

Haben Sie Ambitionen, so etwas wie ein Vorbild zu sein?

„Wie kann ich Sting bestohlen haben, wenn ihm meine Version seines Songs so gut gefällt?“

Ich denke, dass ich das bin, weil ich trotz all der Scheiße, die in meinem Leben passiert ist, niemals den Glauben an mich verloren habe. Außerdem versuche ich mein Leben so positiv wie möglich zu gestalten. Ich finde, das sind schon zwei sehr gute Kriterien für ein Vorbild.

Aber was ist während der Dreharbeiten zum Nas-Video „Hate Me Now“ passiert?

Okay, eigentlich rede ich nicht darüber. Aber hier ist die Geschichte, wie Puff Daddy verhaftet wurde: Nas und ich wollten das Video zu dem Song machen, den wir zusammen geschrieben hatten. Als wir dann das Drehbuch durchgingen, hieß es, dass ich an einer Stelle gekreuzigt werden sollte. Die Leute haben mir versichert, dass das keine Anspielung auf Jesus sein sollte, es bezog sich auf einen der etwa 10.000 Menschen, der dasselbe Schicksal erleiden musste. Ich wusste, dass Jesus nicht der Einzige war, der am Kreuz geendet ist, denn immerhin hatte ich im Religionsunterricht immer gut aufgepasst. Aber um sicherzugehen, habe ich mich genauer informiert, und siehe da, es stimmte auch. So weit, so gut.

Ich habe mich also darauf eingelassen – unter der Voraussetzung, dass ich nicht mit Jesus in Verbindung gebracht würde. Aber als ich das Video sah, in dem ich mit einer Dornenkrone am Kreuz hänge, sah es für mich so aus, als wäre ich Jesus. Also habe ich mit den Verantwortlichen geredet und sie gebeten, diese Szene herauszuschneiden, weil sie meine religiösen Gefühle verletzt.

Es war kein großer Akt, weil es nur drei Einstellungen waren. Der Typ, der dafür verantwortlich war und den ich übrigens seit sieben Jahren kenne, versprach, die Szenen herauszuschneiden, und ich war zufrieden. Als ich aber eine Woche später das Video im Fernsehen sah, bin ich total ausgeflippt, denn die besagten Szenen waren immer noch drin.

Ich war total sauer und fühlte mich hintergangen. Außerdem hatte ich Angst, dass das Ganze missverstanden werden könnte und alle glauben, ich würde Jesus Christus verspotten. Ich habe mich falsch verhalten, viel zu emotional. Ich war Sean Combs, ein ganz normaler Mensch, und normale Menschen machen Fehler. Also bin ich zu ihm gefahren und habe ihn verprügelt.

Es war gar nichts Ernstes, obwohl die Medien schrieben, ich hätte seinen Arm und seinen Kiefer gebrochen. Nichts von dem ist wahr. Es war nichts weiter als ein Missverständnis zwischen zwei Menschen, die sich seit sehr langer Zeit kennen. Außerdem habe ich mich längst bei ihm entschuldigt, und er hat seine Anzeige gegen mich zurückgenommen.

Aber Ihrem Anspruch, als Vorbild aufzutreten, dürften solche Aktionen nicht gerade dienlich sein.

Ich kann allen da draußen nur den guten Rat geben, tief durchzuatmen, wenn sie wütend sind. Gewalt führt zu nichts. Ich schäme mich sehr für mein Verhalten und weiß, dass ich den HipHop damit beschmutzt habe.

Ursprünglich bin ich angetreten, diese Musik einen Schritt nach vorne zu bringen, aber ich fürchte, mit dieser Geschichte habe ich sie eher zwei Schritte zurückgeworfen. Es tut mir sehr Leid. Alle sollen wissen, dass das nichts mit mir als Künstler und Produzent zu tun hat. Es war der Fehler einer Privatperson. Interview: Marcel Anders

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen