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Störende Hörige

Endlich „Katzeklo“ spielen: In der Berliner Waldbühne scheiterte Helge Schneider an seinen größten Fans  ■   Von Stefan Kuzmany

Ein ehrgeiziger Plan. „Helge Schneider & The Firefuckers“, die Tour zur neuen CD, mit mehr Musik und weniger Wortwitz – dass er die Zuschauerränge der Berliner Waldbühne damit nicht würde füllen können wie etwa Sting oder Cher, das war Helge Schneider sicher von vorneherein klar.

Die Stimmung der vielleicht 4.000 Fans, denen der Anblick Schneiders 42 Mark wert gewesen ist, war trotzdem viel versprechend. Unten, in der Arena, tanzten sie verhalten zu den Schweinerock-Variationen Schneiders, oben, auf den Rängen, packten einige ihr kleines Picknick aus. Helge Schneiders Publikum: Kinder in Begleitung ihrer Eltern, Studenten mit lichtem Haar, junge Pärchen, deren weiblicher Anteil sich in vielen Fällen offenbar leicht deplaziert vorkam. Und junge Männer, um die sechzehn Jahre alt, jeden Schneider-Vers auswendig im Kopf und leider schon am Anfang total besoffen.

„Helge! Helge!“, skandierte eine kleine Gruppe dieser Hardcore-Schneiderianer nach jedem Song, während jeder Ansage. Ganz nach vorne hatten sie sich durchgekämpft, waren wohl sehr früh gekommen, und jetzt standen sie ganz nahe bei ihrem Idol – aber das wollte von ihnen nichts wissen. Helges Antworten variierten: Ein „Ja, ich bin's!“ wurde zu einem „Mist, sie haben mich erkannt“, dann zu einem genervten „Ist ja schon gut“. Als Helge Schneider dann die Ordner aufforderte, diese Leute zu entfernen, war allen klar: Er findet's nicht mehr lustig. „Ihr zerstört mir jeden Gag! Ihr seid doof!“, beschimpfte Schneider die störenden Hörigen.

Das Restpublikum war irritiert. Und Schneider nach nur zwanzig Minuten schon derart schlechter Laune, dass er fortan auf jede komische Zwischenansage verzichtete und erst mal harten, wütenden Gitarrenrock einschob. Zwischendurch machte er seinem Ärger Luft: „Berlin ist Scheiße.“

Damit hatte er sich auch noch die Sympathien der Lokalpatrioten verspielt. Fortan bewachten sechs Security-Männer misstrauisch den immer noch ungebändigten Fanblock. Für kurze Zeit verstummten die „Helge“-Rufe, und kurz hatte man auch das Gefühl, Schneider habe sich wieder gefangen, habe vielleicht während eines ausufernden Schlagzeugsolos hinter der Bühne einen kleinen Joint durchgezogen, sei wieder entspannt und improvisationsfreudig.

Endlich: „Katzeklo“. Kinder tanzen, alle singen mit, und Schneider erfindet eine neue Strophe von einer Katze, die so dick ist, dass sie ihre Pfoten nicht mehr auf den Teppich bekommt, und einer alten Oma, die ihre ganze Rente von 70 Mark in ihr Haustier investiert, nicht weiß, dass der böse Supermarktgeschäftsführer das billigere Katzenfutter im obersten Regal versteckt hat, und der am Ende aber Flügel wachsen, so dass sie zum billigen Futter fliegen kann – geradezu sozialkritisch.

So lustig, so absurd hätte der ganze Abend sein können. Aber nein: „Helge! Helge!“, schallt es wieder aus nicht mehr als zwanzig Kehlen direkt vom Bühnenrand, es fliegen CDs und T-Shirts auf die Bühne, und Helge Schneider verabschiedet sich: „Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann nicht wieder.“ Dann kommt er doch zurück, nach Klatschen und Johlen, sichtlich überredet: „Bringen wir diesen Job also zu Ende. Ich werde dafür sorgen, dass Berlin ab 21.05 Uhr nicht mehr Hauptstadt ist.“ Und singt seine Version von „Copacabana“, mit herrlich blödem Ausdruckstanz und einmal kurz mit sächsischer Intonation – womit er in wenigen Sekunden die „Ö La Palöma Boys“ überflüssig gemacht hat. Aber das sind die Fake-Sachsen ja ohnehin.

Als Helge Schneider zum letzten Mal an diesem Abend auf die Bühne tritt – fünf Minuten lang war das Licht schon aus und die Band abgetreten –, sind viele Zuschauer schon gegangen. Alleine kommt er und entschuldigt sich: „Das Konzert war totale Scheiße. Ich tue meine Arbeit gerne, aber heute habe ich sie irgendwann nicht mehr gerne getan. Ich muss hier improvisieren, und dazu muss ich viel nachdenken. Das geht aber nicht, wenn ich immer gestört werde.“ Ein letztes „Fitze Fatze“ a cappella, und Schneider verlässt traurig die Waldbühne.

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