: Ein neuer kalter Krieg gegen Russland
■ Hinter den Korruptionsvorwürfen wittert Moskau ein Komplott
Moskau (taz) – Ein „neuer kalter Krieg“, eine „frisch errichtete Berliner Mauer“ und ein „neuer Ausbruch der McCarthyschen Hexenjagd“ – dies sind nur einige der Schlagwörter, mit denen russische Zeitungen seit Ende vergangener Woche auf Informationen über illegale russische Geldtransaktionen reagierten, die schon seit vierzehn Tagen die westliche Presse beherrschen.
Noch in der vergangenen Woche hatten die russischen Blätter darauf verzichtet, den Skandal zu kommentieren. Allzu gleichzeitig hatte es Enthüllungen über die Maßnahmen der Staatsanwälte und Geheimdienstler gegen russische Geldwäscheoperationen in mehreren westlichen Ländern gehagelt. Fast die gesamte politische Elite und Geschäftswelt Russlands war ins Zwielicht geraten, angesicht der Nachricht, dass bis zu 15 Milliarden aus trüben russischen Quellen stammender US-Dollar während des letzten Jahres in zwei New Yorker Banken gewaschen worden seien.
Inzwischen haben sich die Zungen der russischen Interpreten gelöst. Unter ihnen gibt es zwei Lager: die „Beleidigten“ und die „Beschämten“. Wenn der Westen gerade jetzt auf der ohnehin bekannten Korruptheit der russischen Elite herumreitet, so ist dies nach Meinung der Ersteren das Resultat einer heimtückischen internationalen Verschwörung gegen Russland. Besonders tun sich in dieser Hinsicht die Blätter des Oligarchen Boris Beresowski hervor, dessen eigene Konten nach Insiderinformationen von der Schweizer Staatsanwaltschaft eingefroren worden sein sollen.
In der frisch von Beresowski erworbenen Tageszeitung Kommersant kommt die Titelstory von letztem Donnerstag komplett mit einem Foto des 50er-Jahre-US-Kommunistenjägers Joseph McCarthy daher. Daneben heißt es: „Erst kürzlich verschwand der Terminus 'sowjetische Gefahr‘ aus dem politischen Wortschatz des Westens. Heute wird die 'sowjetische Gefahr‘ von der 'russischen Mafia‘ abgelöst“. Dann malt die Zeitung eine für alle Neuen Russen wahrhaft apokalyptische Vision an die Wand: Ausländische Banken könnten sich weigern, mit russischen Klienten und Banken zusammenzuarbeiten, „bloß weil sie russisch sind, und wir könnten dann schon kein Geld mehr an unsere Verwandten überweisen und an unsere Kinder, die im Ausland studieren.“
Als besonders bedrohliches Zeichen westlicher Ungnade wird von den „Beleidigten“ in diesem Zusammenhang die Erklärung des amerikanischen Finanzministers Lawrence Summers hingestellt, die im September auszuzahlende Tranche von 640 Millionen Dollar des letzten Kredites des Internationalen Währungsfonds (IWF) müsse eingefroren werden, bis die Untersuchung russischer Geldwäsche in amerikanischen Banken abgeschlossen sei. Der bisherige russische IWF-Unterhändler, Michail Sadornow, erklärte dies allerdings am Donnerstag zu einer leeren Drohung: Die Abgesandten des IWF seien letzte Woche mit der Erfüllung ihrer Auflagen durch die russische Seite zufrieden gewesen.
Nicht alle russischen Veleger und Journalisten haben vergessen, dass das russische Volk gar nicht vom Westen abhängig zu sein bräuchte, wenn ihm seine Geschäftsleute und Politiker seine eigenen Reichtümer belassen hätten. Einige Tageszeitungen sowie das Wochenblatt Obschtschaja Gaseta bringen ihre Scham angesichts des Skandals zum Ausdruck und fordern die russische Regierung und Zentralbank auf, sich unverzüglich zur Kooperation mit den westlichen Sicherheitsorganen bereit zu erklären.
Eine nichtpolitische Version des Geschehens servierte gestern der Duma-Deputierte und Ex-Vizepremier Alexander Schochin. In einem Fernsehinterview erklärte er, der Skandal sei von den westlichen Privatgläubigern der russischen Banken inszeniert, die so schneller ihr Geld zurückzubekommen hofften. Die russische Regierung hatte zu Beginn der Krise vom 17. August letzten Jahres ein Moratorium verkündet, das den Banken für die Frist von 40 Tagen verbot, Auslandsschulden zurückzuzahlen. Als die Frist abgelaufen war, erwiesen sich die russischen Banken als leergepumpt.
Am 15. September steht ein neues Treffen mit dem sogenannten „Londoner Club“ der privaten Gläubiger Russlands bevor. „Wenn ich mit meiner These recht habe, wird der Skandal bis zu diesem Tage weitere Nahrung bekommen“, sagte Schochin: „Denn es ist für unsere Kreditoren bei den Verhandlungen ein sehr starkes Argument, dass es in Russland durchaus Geld gibt und wir es nur daran hindern müssten, aus dem Land zu strömen.“
Barbara Kerneck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen