piwik no script img

Leerstelle statt Schnittstelle

Die Kölner Ausstellung „Video Virtuale – Foto Fictionale“ bringt Cyber-Porträts, Körpercollagen und Naturgepixel mit Fotovisionen aus den dreißiger Jahren zusammen. Eine Frage klärt sie allerdings nicht: Was ist heute eigentlich Medienkunst?  ■   Von Magdalena Kröner

In den Achtzigern hießen die Stars Nam June Paik und Fabrizio Plessi. Jetzt sind die Neunziger: Paik fand einen frühen Tod durch Musealisierung, und Plessis Wasserfälle rieseln still im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie vor sich hin. Am Ende dieses Jahrzehnts ist Kirsten Geisler ein Star, wie ihre sich durch Zauberkraft vermehrenden Installationen aus dem Konzept der „Virtual Beauty“ bezeugen. Im Moment sind es vier: eine in Duisburg, eine in Aachen, eine in Düsseldorf und jetzt auch noch eine in der Kölner Ausstellung „Video Virtuale – Foto Fictionale“. Der Titel klingt nach Epoche machendem Ereignis – und auch Kuratorin Ulrike Lehmann gibt sich aufgeregt: „Dies ist ein Thema, das ganz nah am Leben ist.“

Wer sich den weiten Weg durch die ständige Ausstellung bis hinunter in den Keller des Museum Ludwig gebahnt hat, den erwartet ein Gemischtwarenladen à la mode: Hochglanzfotos, Digitaldrucke in brillanter Qualität, computergenerierte Bilder, Projektionen, Videos und kostspielige Installationen.

Zu finden sind unter anderem: Anmutungen an Gentechnologie (Dieter Huber), Mutationen der Natur (Caroline Dlugos, wie Geisler auch parallel in Aachen zu sehen; dazu Bernd Lintermann), des Körpers (Inez van Lamsweerde/ Vinoodh Matadin), der menschlichen Individualität (Gerald van der Kaap) und – natürlich – der Realität überhaupt (Yves Netzhammer, Matt Mullican).

Dazwischen fallen dann doch die Arbeiten von Björn Melhus auf, deren seltsame Klänge den Betrachter in ihren Bann ziehen. Melhus scheint am besten geeignet, die mannigfaltigen Positionen innerhalb der Medienkunst in sich zu vereinigen, so seltsam fremd, faszinierend und doch altbekannt, divergent und unheimlich sind seine Reisen in die Welt der Körperfantasmen. Vorwärts und rückwärts innerhalb eines hoch artifiziellen Zeitvakuums erzählt Melhus das Märchen vom Kunstmenschen. Einmal findet er zu immer neuen, stark erblondeten Formen seines Selbst, wie in „Again & Again“ von 1998, dann wieder zeigt er im Video „No Sunshine“ von 1997 ein kindliches Zwillingspaar in narzisstischer Symbiose mit zweigliedrigen Greifern als Händen. Sie singen einander in schrillem Falsett zu, das aus Stimm-Samples von Michael Jackson und Stevie Wonder gemacht ist. Das Ende des idyllischen Spiegelns naht, als einer der beiden fünf Finger entwickelt.

Doch als wären solche Kunstfantasien nicht eigenständig genug, werden unschlüssige Bezüge hergeleitet, etwa durch Herbert Bayers „Metamorphosen“ von 1936. Na gut, mag man sich gedacht haben, schließlich haben wir die Fotosammlung ja im Haus. So sind hier auch die berühmt gewordenen Dali-Porträts Philippe Halsmans zu sehen: „Dali Atomicus“ (1948) und „Einäugiger Dali“ (1954). Hier wären zwei konzeptionell unterschiedliche Präsentationen denkbar gewesen.

Zurück bleibt Ratlosigkeit. Es besteht offensichtlicher Klärungsbedarf im Nebel der Medienkunst, und so wurde für Oktober ein Symposium anberaumt, in dem es vor allem um ein „Standortbekenntnis zur Medienstadt Köln“ gehen soll. Die „Schnittstellen zwischen den Medien und der Kunst“ sollen gepflegt werden, schließlich verfüge die Stadt, so heißt es in einem vorab gereichten Text, „über ein großes kreatives Potenzial aus Wirtschaft und Kultur, das in hohem Maße öffentlichkeitsorientiert ist“.

Einer, der vor fünf Jahren die Öffentlichkeitsorientierung des scheinbaren Medienmekkas getestet hat, ist der Kölner Galerist Christian Nagel, Mitveranstalter der Media & Art – Exhibition, die 1994 internationale Kunst parallel zur Art Cologne in Fernsehstudios im Kölner Außenbezirk Hürth ausstellte, in denen sonst Talkshows produziert werden. „Die technischen Möglichkeiten, die uns dort zur Verfügung gestellt wurden, waren erstklassig“, erinnert sich Nagel. Doch weiter gehende Pläne der Initiatoren, junge Kunst, die sich kritisch mit Medienrealität auseinandersetzt, in den damals noch existierenden „Leerminuten“ im Privatfernsehen zu präsentieren, stießen auf wenig Gegenliebe. Kommerzielle Fernsehstudios als Gegenplattform und Kunst statt Commercials? Eine Unmöglichkeit.

Es wird gern dagegengehalten, ein Institut wie die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) sei doch die institutionalisierte Chance für junge Kunst, die mit Computern und Video arbeitet. Ein Problem hat die gut ausgerüstete KHM allerdings seit ihrem Bestehen: den Ruch des Kommerzes, den auch Galeristen wie Nagel beklagen: „Viele der Künstler arbeiten früher oder später doch im angewandten Bereich. Und die, die sich als Künstler verstehen, haben zwar technisches Knowhow, aber keinerlei kunsthistorischen Hintergrund.“

Nun soll hier nicht einer Kunst im Elfenbeinturm das Wort geredet werden. Es scheint aber, dass der Schritt zu noch mehr Zentralisierung, wie er im Falle Kölns von einigen gewünscht wird, nicht automatisch eine Verbesserung der unverändert schwierigen Situation für junge Künstler nach sich zieht. Doch es gibt innovative Ansätze, die abseits von KHM in Köln und ZKM in Karlsruhe eigenständige Strukturen schaffen wollen. Jüngstes Beispiel: die von der Kunsthistorikerin Iris Dressler und dem Künstler Hans D. Christ vor drei Jahren ins Leben gerufenen „hARTware projekte“ in Dortmund, die gerade neue Räumlichkeiten bezogen haben.

Hier legt man Wert auf die Gleichzeitigkeit einer nicht kommerziellen Produktion, ihrer angemessenen Präsentation und der parallelen inhaltlichen Debatte. „Künstlerische Zusammenarbeit organisiert sich heute über Netzwerke und ist nicht länger ortsgebunden. Hier soll schrittweise die Basis für eine dezentrale Infrastruktur entstehen, die für Künstler von überall her interessant sein kann“, erklärt Iris Dressler. In einem dreitägigen Podium will man bei hARTware über neue Formen des Networking nachdenken und auch wieder über Inhalte sprechen.

Tatsächlich öffnet das Marginalisieren der Theorie den Diskurs von Museen und Künstlern nicht automatisch in Richtung einer neuen Kreativität. Vielmehr befördert sie Panoptiken der Beliebigkeit, die nicht viel mehr als bunt schillernde Leerstellen im Kunstbetrieb sind.

„Video Virtuale – Foto Fictionale“. Museum Ludwig, Köln, bis 26. September. Podium hARTware Projekte, Dortmund, 1. – 3. Oktober. Symposium im Museum Ludwig, Köln, am 23. Oktober.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen