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Tradition aus Erneuerung und Grauen

■ Die Kammerspiele feiern das „schiefe“ 50. Jubiläum mit Matinee und Ausstellung / Ein Rückblick auf 77 Jahre

Eigentlich wäre dieses Jubiläum im Jahr der Mai-Revolten zu feiern gewesen, denn 50 Jahre Hamburger Kammerspiele müßte sich den Fakten nach auf die Erstgründung 1918 durch Erich Ziegel und Mirjam Horwitz in ihrem Jugendstiltheater am Besenbinderhof beziehen. Der von den Münchner Kammerspielen über das Hamburger Thalia-Theater zur eigenen Bühne gelangte Ziegel und seine Ehefrau, die dort mit den Ziegel-Entdeckungen Gustaf Gründgens und Fritz Kornter spielte, schufen nach dem Krieg hier eine der wichtigsten Bühnen für das damalige zeitgenössische Theater. Werfel, Wedekind, Strindberg und Toller, Jahnn und Brecht wurden mit ihren neuen Stücken hier dem Hamburger Publikum bekannt gemacht, Regiegäste wie Erwin Piscator beehrten das Haus, und große Erneuerinnen des Tanzes wie Mary Wigman und Gret Palucca traten hier auf.

Gründgens, der trotz seiner zweifelhaften Rolle im „Dritten Reich“ auch Ziegel und die jüdische Mirjam Horwitz vor den faschistischen Häschern bewahrte, bezeichnete die damaligen Kammerspiele in seinem Ziegel-Nachruf 1950 als „ein leuchtendes Fanal gegen die Unbilden der Zeit“ und diesen als „Mann, dem ich in meiner Kunst am meisten verdanke“.

Noch lange bevor Ida Ehre am 10. Dezember 1945 – das Datum, auf das sich das Sonntag zu feiernde Jubiläum bezieht – „ihre“ Kammerspiele an der Hartungstraße eröffnete, war bereits ein Umzug nach Rotherbaum geplant. Ziegel und der Architekt Karl Schneider hatten einen weitgreifenden, modernen Neubau des 1927 abgerissenen Theaters am Turmweg geplant, der aber nie finanziert wurde.

Der heutige Theaterbau befindet sich in einem 1903 von der jüdisch-freimaurerischen Henry-Jones-Loge errichteten Haus, das dann 1938 der Jüdische Kulturbund für seine Veranstaltungen bekam und das schließlich als Sammelstelle für die Deportation nach Auschwitz mißbraucht wurde.

Die Schauspielerin Ida Ehre vertrieb ab 1945 das Grauen des Menschenhasses und der Barbarei aus dem Haus, indem sie inhaltlich an die Tradition Ziegels anknüpfte und sich mit zeitgenössischen Stücken kritisch mit dem Geist der vergangenen wie der heraufziehenden Zeit auseinandersetzte. In den ersten zehn Jahren nach dem Krieg waren die Kammerspiele das fortschrittlichste Haus der Stadt, und Ida Ehres Bekenntnis zu einem „Theater der Menschlichkeit und der Toleranz“ ließ sie durchaus schwierige Töne anschlagen.

Zwar mußte sie später aus finanziellen Nöten das Ensemble auflösen, en suite spielen und vermehrt Boulevardtheater ins Programm nehmen, aber dennoch blieben die Kammerspiele bis zu ihrem Tod 1989 das wichtigste Privattheater der Stadt. Dann folgten in fünf Jahren Ursula Lingen, Stephan Barbarino, Gerd Schlesselmann und Ulrich Waller mit Ulrich Tukur.

Ausstellung und sonntägliche Matinee beschäftigen sich fairerweise mit dem ganzen Zeitraum seit 1918, wobei der Ida-Ehre-Epoche mit Zeitzeugen und Zeugnissen die größte Ehre zuteil wird.

Till Briegleb

Sonntag, 11 Uhr, Kammerspiele

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