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Radikaler Rückzieher

■ Vier mutmaßliche linke Zeitungsmacher nach sechs Monaten U-Haft entlassen / Bundesanwaltschaft flüchtet nach vorn Von Ulrike Winkelmann

Die „radikal“-Gefangenen sind frei. Völlig überraschend erhielten die AnwältInnen der vier Inhaftierten gestern von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (BAW) die Nachricht, daß ihre Mandanten gegen Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 20.000 Mark pro Nase nach Hause gehen könnten.

Nach Informationen der taz konnte Andreas E. gestern nachmittag schon seine Zelle im Lübecker Gefängnis verlassen, da die Quittung über die Kautionszahlung rechtzeitig vor Toresschluß vorgelegt wurde. Ralf M., der erst gestern morgen von Stralsund nach Neubrandenburg verlegt worden war, wird heute morgen von seinen Angehörigen abgeholt. Rainer P. und Werner K., die in Bielefeld und Berlin sitzen, werden voraussichtlich ebenfalls heute in die Freiheit entlassen (siehe weiteren Bericht auf Seite 2).

Die Vier waren am 13. Juni dieses Jahres bei den bundesweit durchgeführten Razzien gegen „linke Objekte“ im norddeutschen Raum festgenommen worden und saßen seitdem in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen die mutmaßliche Mitarbeit an der linken Untergrund-Zeitschrift „radikal“ vor; das Beweismaterial gegen sie beschränkt sich auf die Abhör-Aufnahmen eines angeblichen „radikal“-Redaktionstreffens in einer Hütte in der Eifel. Die Haftbefehle lauten auf „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ und „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ (§§ 129, 129a StGB).

Als Grund für die plötzliche Entlassung gab die Bundesanwaltschaft gestern an, daß keine „Verdunkelungsgefahr“ mehr bestehe; die Ermittlungen seien insoweit abgeschlossen. Zwar bestehe noch Fluchtgefahr, aber diese werde nicht nur durch die Hinterlegung der Kaution, sondern auch dadurch eingeschränkt, daß die angeblichen Zeitungsredakteure ihre Ausweise abgeben müssen.

Als „eine Flucht nach vorn“ bezeichnete Bernd M., ein Sprecher des Hamburger Soli-Plenums, gestern das Handeln der BAW. Denn am 13. Dezember hätte der Bundesgerichtshof (BGH) überprüfen müssen, ob ausreichende Gründe für eine Verlängerung der U-Haft über ein halbes Jahr hinaus vorlägen. Angesichts der Beweislage wäre das dem zuständigen Ermittlungsrichter am BGH offenbar schwergefallen. „Da beginnt etwas zu bröckeln“, schätzt eine andere Sprecherin des Soli-Plenums das Anklage-Konstrukt der BAW ein.

Die Verfahren sind jedoch nicht etwa eingestellt. „Wir erwarten jetzt als nächstes die Anklageschrift“, so Ursula Ehrhardt, eine der AnwältInnen, gestern gegenüber der taz.

Die geplante Demonstration für die „radikal“-Gefangenen und gegen staatliche Repression in Hamburg am 16. Dezember (12.30 ab Moorweide) findet übrigens trotzdem statt.

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