Sportpalast-Polka

■ Wie Gerhard Schröder sein allererstes Kanzlerfest unter Berliner Linden beging

„Der sieht ja aus wie Wurzelsepp“, entfährt es einer jungen Frau entsetzt, als die Kanzler-Polonaise an ihr vorüberzieht

Kaiserwetter Unter den Linden! „Die Regierung ist wirklich da“, dröhnt die notorisch ölig-heitere Stimme von Johannes B. Kerner aus den acht Meter hohen Boxen vor dem Brandenburger Tor. Wer wünscht sich das eigentlich nicht? Und tatsächlich: Da sind sie alle: der bucklige Werner Müller, die physische und psychische Bohnenstange Jürgen Trittin, Otto „Wir haben unsere Frisur von unseren Kindern nur geliehen“ Schily und der Finanzminister, der genauso aussieht, wie er heißt. Zu feiern gibt es, dass die intellektuelle Inkontinenz, die sich politische Verantwortung nennt, ab jetzt endgültig von Berlin aus ihren Ausfluss nehmen wird.

Wo die mentale Betriebsamkeit einer Bierbank vorherrscht, darf natürlich auch ER nicht fehlen: Gerhard Schröder will, das verspricht er den zahlreich erschienenen kleingeistigen Achselschweißproduzenten auf dem Pariser Platz feierlich, jetzt sogar „ein Teil Berlins werden“. Tatsächlich bietet sich Schröder für einige Rollen geradezu an, etwa für die der U-Bahn-Linie 8 oder der öffentlichen Toilette am Alexanderplatz. Erstere macht genauso viel Lärm, zweitere ist genauso schmuddelig wie er: „Wir sind Politiker zum Anfassen, aber nicht überall natürlich“, bringt der Kanzler der Bundesrepublik – es ist ihm ein sichtliches Bedürfnis – auf öffentlicher Bühne seinen langen Heinrich ins Gespräch. Freundliche Männer mit Knopf im Ohr verhindern jedoch, dass dem Niedersachsen der Mund mit Seife ausgewaschen wird.

Eine anschließende Schröder-Polonaise Unter den Linden beweist den moralischen und hygienischen Sittenverfall in diesem unserem Lande: Es gibt Menschen, die Gerhard Schröder die Hand schütteln wollen! Ein alter Mann mit Bart fordert „Neuwahlen“, aber Schröder denkt gar nicht daran zurückzutreten. Schließlich will er noch ganz, ganz lange beim Regieren seinen Spaß haben.

Stimmen der Vernunft sind selten, aber es gibt sie: „Ihh, der sieht ja aus wie Wurzelsepp“, entfährt es einer jungen Frau entsetzt, als es ihr gelingt, den schätzungsweise nur 1,42 großen Kanzler zwischen den für seine Sicherheit zuständigen Fleischbrocken zu entdecken. Auf der Bühne lügt indes bei strahlendem Sonnenschein der bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch das Blaue vom Himmel herunter: „Es ist ne gute Geschichte, dass wir jetzt hier sind.“ Danach bollert der „Mambo Number Five“ aus den Lausprechern. Gewünscht hat sich das Stück („I love Angela, Pamela, Sandra, Maria“) Gerhard Schröder, auch wenn die Damen bei ihm Doris, Hillu, Uschi, Gabi, Susi oder so hießen.

In der Zeltstadt Unter den Linden haben sich die einzelnen Ministerien lustige Späße ausgedacht. Das Auswärtige Amt verlost in einem Quiz das Gesellschaftsspiel „Die Siedler von Cartan“ und, einfach toll, sechs Taschenrechner des Auswärtigen Amtes. Fragen wie „Welche Fläche haben die Ohren von Hans-Dietrich Genscher?“ oder „Wieviele staatstragende Sorgenfalten hat Joschka Fischer genau?“ werden nicht gestellt; aber wie hieß eigentlich „der kaiserlich chinesische Gesandte in Berlin, dessen Beglaubigungsschreiben aus dem jahre 1907 in den Ausstellungsvitrinen zu sehen ist?“ Wer will, kann sich mit SPD-Abgeordneten fotografieren und das Motiv anschließend als T-Shirt drucken lassen. Vorbeischweifende Passanten ziehen aber im Ernstfall eine Zuchthausstrafe vor.

Die Bundeswehr ist auch da und verkauft Erbsensuppe aus der Gulaschkanone mit alten Brötchen! Überhaupt, die Bundeswehr: Unter dem Kommando von Oberstleutnant Robert Kuckert setzt die Armee von Verteidigungsminister Rudolf Scharping an diesem Sonntag morgen ihre schlimmste Massenvernichtungswaffe jetzt auch im Inneren ein: Die „Big Band der Bundeswehr“ erweist sich als V 2 gegen den guten Geschmack.

„Big Band der Bundeswehr bedeutet ja für viele den guten Swing der Dreißiger und Vierzigerjahre“, rapportiert Kuckert feucht-fröhlich. Um die zahlreich erschienenen Hauptstädter mit dem Zaunpfahl darauf hinzuweisen, dass sie zukünftig nicht jeden afrikanischen Botschaftsmitarbeiter mit dem Baseballschläger begrüßen müssen, hat die Big Band sogar eine echte Negerin eingeflogen. Angekündigt wird sie vom Bundeswehrsprecher mit den Worten: „Sie kommt aus Sambia, ich kannte das Land vorher auch nicht.“ Zusammen mit den Schützen Arsch und Friedrich darf sie den „Fliegermarsch“ oder „die Sportpalast-Polka im Happy Sound“ zum Besten geben.

Die Regierung, so viel ist klar, will nach „50 guten Jahren gelebter Demokratie“ (Schröder) endlich wieder die totale gute Laune. Das Schlimmste aber ist seit gestern geschafft. Der Kanzler hat Entwarnung gegeben: „Es wird nicht immer möglich sein, dass wir uns begegnen.“ Und das ist unbestreitbar ein Grund zum Feiern.

Andreas Spannbauer