: Da wird der Kaukasier kreidebleich
Nach der Beerdigung von 91 Opfern einer Hochhausexplosion in Moskau fahndet die Stadtverwaltung nach „schwarzen“ Tätern aus dem Kaukasus. Der Kreml hält sich zurück ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
In Russland wird heute der Menschen gedacht, die bei der Explosion eines neungeschossigen Wohnhauses in Moskau in der Nacht zu Mittwoch ums Leben gekommen waren. Die von Präsident Jelzin angeordnete Staatstrauer soll auch jener gedenken, die vor zehn Tagen in Bujnaksk in Dagestan starben. Dort war bei der Explosion einer Autobombe vor einem hauptsächlich von russischen Armeeangehörigen bewohnten Haus 56 Personen getötet worden, darunter viele Frauen und Kinder. Bei der Explosion in Moskau sind nach offiziellen Angaben 91 Menschen gestorben. Da in dem Haus aber über 200 Mieter gemeldet waren, dürfte die Zahl der Opfer nach Schätzungen von Helfern das Doppelte betragen.
Am Wochenende wurden die ersten Opfer in Moskau beigesetzt. Selbst Angehörige der Friedhofsverwaltung taten sich schwer, mit dem Tod umzugehen: Erschütterndere Szenen, meinte ein Totengräber, hätte er in all den Jahren nicht gesehen.
Obgleich bisher noch nicht eindeutig geklärt ist, ob ein Terroranschlag oder lediglich die fahrlässige Lagerung von Sprengstoff Ursache der Tragödie ist, sind Sicherheitsorgane dabei, in den Kreisen der kaukasischen Diaspora in Moskau nach Verdächtigen zu suchen. Bürger aus dem Kaukasus müssen sich inzwischen auf noch härtere Behandlung einrichten. Das Phantombild eines Tatverdächtigen, den Anwohner kurz vor der Detonation gesehen haben wollen, wurde bereits veröffentlicht. Ein Verdächtiger, dessen Identität geheimgehalten wird, soll bereits festgenommen worden sein. Die meisten Massenmedien vermuten ebenfalls, die Spur führe in den Kaukasus. „Der Kaukasuskrieg hat Moskau erreicht“, jagte das Blatt Sewodnja seinen Lesern Angst ein.
In Moskau sind nun 4.000 Milizionäre in Einkaufszentren, vor U-Bahnhöfen und auf Märkten im Einsatz. Premierminister Wladimir Putin, der Geheimdienst FSB und das Innenministerium hatten noch am Freitag einen Dringlichkeitskatalog entworfen, der „allgemeine Vorsichtsmaßnahmen zur Verhütung von Terroranschlägen in Moskau und Russland“ vorsieht. In einem ersten Schritt wurden die Sicherheitsvorkehrungen in der Nähe von Atomkraftwerken intensiviert.
Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow, ohnehin ein „Schwarzenfresser“, stellte als einziger Politiker indes öffentlich eine Verbindung zwischen kaukasischen Drahtziehern und der Explosion her, während der Kreml und Regierungskreise auffallend darum bemüht sind, vor Abschluss der Ermittlungen die kaukasische Fährte nicht als einzig mögliche Erklärung erscheinen zu lassen.
Unterdessen verfügte der tschetschenische Präsident Aslan Maschadow eine allgemeine Mobilmachung, nachdem mehrere russische Kampfflugzeuge in den letzten Tagen Dörfer in der Kaukasusrepublik angegeriffen hatten. Nach Aussagen russischer Militärs hielten sich dort wahhabitische Rebellen auf, die dem in Dagestan kämpfenden Warlord Schamil Bassajew unterstelllt seien. Maschadow forderte die tschetschenischen Rebellen auf, Dagestan zu verlassen und die Waffen niederzulegen.
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