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leben in funnyland

■ yves eigenrauch

ich befinde mich in einem raum mit leuchtstoffröhren als lichtquelle, nur kleine oder vielleicht keine fenster sind vorhanden. das licht ist ... ja, es ist genauso wie in dem film „joe allein gegen den vulkan“ in der szene, die im büro spielt. unsere umkleidekabine. irritiert schaue ich von meinem platz aus umher, zu surreal erscheint diese situation. nicht zuletzt dadurch, dass die dominierenden raumfarben weiß und blau sind. alles wirkt so überstrahlt, so überbelichtet.

brainstorm. sterne, liebe, sommernacht. gleißende leuchtstoffröhre.

mein platz: ein klassischer schulstuhl. einzig die vereinzelt herumstehenden, mit gelbem mineralgetränk gefüllten becher, der gelbe amstel-werbehut auf einem kleiderspind sowie die gelben flipchart-magneten zeigen sich für einen farbtupfer in der blau-weißen welt verantwortlich. aber warum gerade gelb. dann doch lieber türkis. oder pink.

so abwechslungsreich wie die farben sind auch die stimmen; lautes gewirr. auch die inhalte; viel fußball. verwundert jedoch nicht, schließlich ist das fußballspielen unser job. nein, hier nicht, hier ist es kein job, es ist unser beruf. wach ich oder träum ich? fußball spielen ein beruf! bin wach.

musik aus dem radio lässt mich träumen, jetzt. klingt wie funky cold medina von tone-lock, klingt nicht nur so. klingt nach sommer, sonne, kiesloch und mädchen. damals, neunzehnhundertneunundachtzig, war ein klasse sommer. auch wegen tone-lock. endlich achtzehn, endlich auto fahren dürfen. mama und papa waren so lieb. der tag ist hell, die leuchtstoffröhren brennen, und doch bin ich auf einmal weit weg. kaum etwas anderes holt situationen und erlebnisse wieder so nah heran wie musik. damals gehört, wird der klang synonym für das erlebte. mit geöffnetem verdeck abends in die stadt fahren, um sich in einer kneipe mit freundinnen zu treffen.

in einer kneipe ist wohl nicht der richtige ausdruck. im markt 15. wir waren doch popper oder tendierten zumindest bezüglich der kleidung und der ansichten in jene richtung. was sagt das lexikon: „seit ende der siebziger jahre eine bezeichnung für einen in kleidung, konsum und umgangsformen elitär ausgerichteten jugendlichen mit besonderer betonung des äußerlichen“. stimmt.

brainstorm. mein gott, war das spontan. einfach für ein wochenende nach grömitz zu fahren, zu viert. sommer, sonne, die fünf stunden fahrt. brainstorm. zelten am baggersee. absprechen, wer mitkommt oder mitkommen soll, nachdem wir dort schon häufiger baden waren. sonne, schwimmen, spielen, lagerfeuer, sterne. brainstorm. auch die discothekenbesuche waren eine klasse für sich. studio M. tanzen, beisammensitzen auf dem hof, mädchen, musik, treffen und getroffen werden.

brainstorm. und spät nachts eine fahrt zum kaiser-wilhelm-denkmal. zweisam auf die stadt hinunterschauen. sterne, liebe, sommernacht. gleißende leuchtstoffröhre. nur wenige sekunden sind vergangen seit dem wachen. ich hätte damals wohl doch lieber den erwachsenen glauben schenken sollen, als sie wiederholt behaupteten, die jugend sei die schönste zeit des lebens.

hole dir deine fußballschuhe aus dem zeugraum, könnte eine ereigniskarte sein, ist aber nur der gedanke, der mich abrupt erfasst; denn wenn ich mich nicht fürchterlich täusche, gehe ich gleich mit den jungs zum trainingsplatz, um – überraschung! – zu trainieren. fragt mich nicht, warum ich das mache. der trainer ist derjenige, der bestimmt. auch wenn ich gerne noch weiterträumen wollte. beruf ist beruf ist berufung.

habe ich schon erwähnt: mecanical animals. heute, neunzehnhundertneunundneunzig, ist ein klasse sommer. eine schönste zeit, nur nicht mehr so unbeschwert.

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