: Die PDS gewinnt, doch das linke Lager verliert
■ Nach ihrem Wahlerfolg in Thüringen denkt PDS-Chef Lothar Bisky laut über „Große Koalitionen“ mit der CDU nach – schließlich gebe es dort viel soziales Gedankengut. Tatsächlich jedoch schränken die Verluste der Sozialdemokraten die Möglichkeiten der Sozialisten ein
Im Mund von Lothar Bisky bekommt das Wort von der Großen Koalition auf einmal eine neue Bedeutung. Der PDS-Chef verwendet es an diesem Montag eher beiläufig, aber er verwendet es. Es müsse ja nicht gleich eine Große Koalition zwischen PDS und CDU sein, sagt der Vorsitzende, aber eine Zusammenarbeit mit den Konservativen könne er sich durchaus vorstellen.
Nun brauchen die Christdemokraten nichts weniger als eine Unterstützung durch jene Partei, die sie gerne als SED-Nachfolgeorganisation bezeichnen, und erst recht nicht in Thüringen, wo die CDU seit der Wahl am Sonntag mit absoluter Mehrheit regieren kann. Doch so hat Lothar Bisky seine Äußerung auch nicht gemeint.
Der Vorsitzende einer Partei, die im Westen noch oft für eine Splittergruppe gehalten wird, will an diesem Montag eine Zäsur markieren. Große Koalitionen bezeichnen das Zusammengehen der beiden stärksten Fraktionen eines Parlaments. In der Bundesrepublik (alt) konnten dies nur CDU und SPD sein. Seit Sonntagabend, so Biskys Botschaft, gehört zumindest in einem ostdeutschen Landtag auch die PDS dazu. Mit 21,4 Prozent wurde sie erstmals zweitstärkste Partei.
Und weil aus Anlass dieses Ergebnisses so viel mehr Reporter ins Berliner Karl-Liebknecht-Haus gekommen sind, als die Parteizentrale sonst zu sehen bekommt, treibt Bisky das Jonglierspiel mit den strategischen Optionen noch ein bisschen weiter. Sich am grossen Sieger zu messen unterstreicht schließlich nur die eigene Stärke. Sicher, CDU und PDS seien zwei Pole des politischen Spektrums, aber es gebe im Osten durchaus gemeinsame Erinnerungen, sagt Bisky. Die Anspielung gilt der Vergangenheit der CDU als DDR-Blockpartei. „Nur bescheidene Geister glauben, dass die CDU damals eine Widerstandsorganisation war.“
Der Spitze gegen rechts folgt die gegen links. „Vielleicht gibt es ja inzwischen in der CDU mehr sozialdemokratische Traditionen als in der SPD.“ Nachdem die Modernisierer von der SPD Besitz ergriffen hätten, „kann man möglicherweise mit der CDU für eine sozialere Politik eintreten“. Meint er das ernst? Der PDS-Chef grinst. „Ich komme aus der Kultur“, sagt der frühere Direktor einer Filmhochschule, „mein Vorstellungsvermögen ist unbegrenzt.“
Die Genossen könnten sich freuen, neben den Gewinnen in Thüringen verbesserten sie auch bei den Kommunalwahlen in NRW ihre traditionell schlechten Westergebnisse. Trotzdem kommt den PDS-Oberen bei der Auswertung ihrer Erfolge immer wieder der Erfolg der anderen Seite dazwischen. Im Osten sei die CDU bei den Landtagswahlen schlicht durchmarschiert, bilanzierte Geschäftsführer Dietmar Bartsch in der Sitzung des Bundesvorstandes. Wahlkampfleiter André Brie hatte in seinem Resümee noch die Schröder-frustrierten Sozialdemokraten als größtes Potenzial der Sozialisten ausgemacht. Bartsch konterte: „Wir müssen uns fragen, warum viel mehr enttäuschte SPD-Wähler in Richtung CDU abgewandert sind.“ In Thüringen konnte die PDS einen realen Zuwachs von rund 12.000 Wählern verzeichnen.
Am besorgtesten wirkt im Bundesvorstand André Brie, oft als Vordenker und Stratege der Partei gerühmt. Wenn er die Situation seiner Partei knapp ein Jahr nach der Bundestagswahl analysiert, fallen Begriffe wie „widersprüchlich“, „nicht stabil“, „in keiner Weise garantiert“. Diese Perspektive habe sich durch die Gewinne vom Wochenende nicht geändert. „Auch mit den Erfolgen der PDS entsteht eine gefährliche Ambivalenz der Situation für uns“, sagt er. „Wir müssen uns als Partei öffnen, aber es ist natürlich eine Gefahr, traditionelle Wähler politisch und kulturell vor den Kopf zu stoßen.“
Hinzu kommt eine Sorge, die an Heiner Geißlers Theorie der politischen Lager erinnert. Insgesamt sei seit der Bundestagswahl von 1998 eine Schwächung des Blocks jenseits von CDU und CSU zu beobachten. Anders ausgedrückt lautet Bries Sorge: Was nützen der PDS ihre Stimmzuwächse, wenn das linke Lager insgesamt verliert? Insofern beobachten die Strategen der PDS die Modernisierung der SPD mit gemischten Gefühlen. Zwar lassen sich dort Wähler abwerben, andererseits erschwert die Schröder-Linie mögliche Kooperationen zwischen beiden Parteien. „Ich empfinde keinen Triumph gegenüber den Niederlagen der SPD“, betont Bisky, „aber es verstärkt sich der Eindruck, dass sie in einer anderen Welt lebt.“
Schröders Modernisierungskurs, so denken viele im Liebknecht-Haus, hat die Hoffnungen der linken Wählerschaft auf einen Politikwechsel gründlich enttäuscht. Gabi Zimmer, die PDS-Spitzenkandidatin in Thüringen, glaubt, die Sozialdemokraten hätten es seit Monaten an politischem Realismus fehlen lassen. „Insofern kann man kein Mitleid mit Dewes und anderen haben.“ Am Tag ihres Erfolges bangen die Sozialisten um die Zukunft der Sozialdemokraten. Geschäftsführer Bartsch tröstet sich wie vielleicht so manch altgedienter Sozialdemokrat: „Die SPD ist eine Partei mit 150jähriger Geschichte. Der Schröder-Kurs ist nicht unumkehrbar.“ Patrik Schwarz, Berlin
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