■ Filmstarts a la carte
: Der universelle Künstler

Das reine Mäzenatentum ist in der Kunst heute leider die Ausnahme geworden, längst verdrängt vom Sponsoring, der Zahlung im Tausch gegen Werbezeiten und –flächen. Doch das war nicht immer so: 1930 gab der Viscount Charles de Noailles ohne Erwartung einer Gegenleistung Luis Buñuel und Jean Cocteau jeweils eine Million Francs zur Herstellung eines mittellangen Films und ließ ihnen bei der künstlerischen Gestaltung völlig freie Hand. Buñuel drehte den surrealistischen Klassiker „L'Age d'Or“, und auch der bis dato in den Techniken des Kinos vollkommen unbewanderte Cocteau schuf mit „Le Sang d'un Poète“ eines der Meisterwerke des Avantgardefilms, in dem sich mit Poesie, Malerei und Theater die vielfältigen Interessen und Talente des Universalgenies widerspiegeln. Ein schwer zu deutender Film ohne stringente Handlung, jedoch mit beeindruckenden Bildern und Motiven, die im Universum Cocteaus eine wichtige Rolle spielen und auch in seinen späteren Werken immer wiederkehren: Statuen, die zum Leben erwachen, Masken mit aufgemalten Augen, der Eintritt in eine andere Welt durch einen Spiegel, der Stein im Schneeball. Faszinierend auch der Umgang des Autodidakten mit den Tricks der Filmtechnik: So erwecken zum Beispiel gekippte Dekorationen den Eindruck, als ob die Protagonisten an den Wänden oder der Decke spazieren könnten. Das Arsenal zeigt „Le Sang d'un Poète“ in der Reihe „Menschen im Hotel“: In einem nämlichen Etablissement landet der Poet, nachdem er in den Spiegel eingetaucht ist und erlebt, wie hinter den Schlüssellöchern seltsame Dinge vor sich gehen.

„Le Sang d'un Poète“ 19.9. im Arsenal

Ein Hotelzimmer gibt es auch in „Allemagne Neuf Zéro“: Am Ende seiner Reise durch den Ostteil des nunmehr wiedervereinten Deutschlands sitzt Lemmy Caution (Eddie Constantine), der letzte Geheimagent – der, wie Hanns Zischler im Film bemerkt, den „Rekord von Dornöschen gebrochen hat“ –, auf dem westlichen Hotelbett und nimmt die Bibel zur Hand. Ein hübsches Selbstzitat Jean-Luc Godards, der hier natürlich auf seinen Film „Alphaville“ anspielt. In Godards typischer Manier als komplexe Collage aus poetischen und philosophischen Gedanken zur Geschichte und Zukunft Deutschlands, Ausschnitten aus Filmklassikern und Wochenschauen sowie dummen Witzen über Martine Carol angelegt, ist „Allemagne Neuf Zéro“ nach Godards eigenem Verständnis ein Film über die Einsamkeit eines Volkes, das aufgrund seiner Vergangenheit Angst vor dem „Deutschen“ bekommen hat. Weshalb der eine Teil beschloss, lieber zu Amerikanern zu werden, und der andere Teil vierzig Jahre im Stillstand verharrte. Der Film läuft im Rahmen einer vom Deutschen Historischen Museum veranstalteten internationalen Konferenz mit dem Thema „Die Medien und die politische Wende in Europa“. Auch zwei weitere Godard-Filme sind dieser Tage zu sehen: „Passion“ (1982), eine Studie über das Licht, am Beispiel eines Regisseurs, der berühmte Historiengemälde nachstellt, und „Nouvelle Vague“ (1990), in dem der Maestro unter anderem die Starpräsenz Alain Delons erkundet.

„Allemagne Neuf Zéro“ (OmU) 19.9. Zeughauskino im Martin- Gropius-Bau; „Passion“ und „Nouvelle Vague“ 18.9.-22.9. im Lichtblick-Kino

Die gesamte Rossellini-Familie wird noch bis Ende Oktober im Filmkunsthaus Babylon gewürdigt: Roberto, seine Frau Ingrid Bergman und die gemeinsame Tochter Isabella. In der kommenden Woche verschlägt es die Bergman in ihrer Rolle als Kriegsflüchtling und unter der Regie ihres Gatten nach „Stromboli“ (1950).

„Stromboli“ 17.9.-19.9. im Filmkunsthaus Babylon

Lars Penning