: Walzer bis zum Abwinken
■ „Anima Eterna“ spielte beim Musikfest einen ganzen Abend lang Johann Strauß, und die Rezensentin fragt, warum?
Die kürzeste Kritik der Welt stammt von dem großen Zyniker George Bernhard Shaw: „Fräulein X. sang einen Liederabend. Warum?“ Alfred Kerr machte daraus eine etwas längere Variante: „Herr Y. spielte den Hamlet. Warum nicht?“
Beides fiel mir ein anlässlich des Musikfestkonzertes, bei dem Jos van Immerseel mit seinem Orchester „Anima Eterna“, dem wir schier atemberaubende Interpretationen von Schubert- und Beethoven-Sinfonien verdanken, sich offensichtlich einer großen Liebe widmete: dem Walzerkönig Johann Strauß. Zwar habe ich nicht unbedingt erwartet, dass die alten Instrumente und die durchsichtige Spielweise, gepaart mit dem Schwung von Immerseel, Ungehörtes zu Tage gebracht hätten, aber wenn man einen „Johann Strauß Abend“ gestaltet, muss die Interpretation schon die Begründung dafür liefern. Davon konnte keine Rede sein.
Freilich hat das Orchester wunderbar gespielt: Bis zum letzten ausgefeilte Artikulation, verbunden mit filigraner Feingliedrigkeit, extremer Rubatostau und wildes Anziehen des Tempos setzten interpretatorische Maßstäbe in sechzehn Stücken. Aber man stopft sich von feinem Konfekt ja auch nicht den ganzen Mund voll, dachte ich mir beim Hören und habe es bis zur Pause ausgehalten.
Die Tänze sind zwar nicht mehr direkt zum Tanzen geschrieben, stehen aber noch in dieser Tradition. Von der kompositorischen Qualität her trägt das keinen reinen Konzertabend, und Stücke wie „Nordseebilder“ oder „Im Sturmschritt“ sollte man doch zu den Akten legen. Was nicht heißt, dass Johann Strauß nicht Stücke mit unsterblichem Charme geschrieben hat, wie die „Neue Pizzikato-Polka“ oder auch den „Frühlingsstimmenwalzer“. „Anima Eterna“ spielte einen ganzen Abend Johann Strauß. Wa-rum? Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen