: Die aufrechte Rötelritterin
■ Regine Hildebrandt: Eine Feindin der Großen Koalition, zu Gast im Land derselben
Radio Bremens letzte „Sommergästin“ dieses Sommers bezeichnete sich selbst als „reisende Schallplatte“. Aber nach mehreren vergeblichen Sprechversuchen, fand Moderatorin Turner doch noch eine Redelücke: „So jetzt sage ich auch mal was. Gast bei zettBeh ist Regine Hildebrandt.“ Die wird dem delectare-docere-Format der Sendung qua Naturell gerecht. Genauso überschäumend-engagiert wie über den Mangel an Lehrstellen redet sie über das Stricken von Teddyschals für die Enkel oder ihren Lieblingspilz, „den violetten Rötelritterling, haha“. „Familienpolitik kann man auch machen, indem man Kinder kriegt, in einer fröhlichen, großen Familie lebt und darüber erzählt, haha.“ Und das tut sie. Schallplatten brauchen keine Moderatoren.
Um die Spannung der Talkshow noch zu toppen, müssen es die Kollegen von Radio Bremen irgendwie hingekriegt haben, die SPD bei den Wahlen in Brandenburg alt aussehen zu lassen. So konnte man Hildebrandt befragen zu ihrer (in diesem Land der Kompromisse spektakulären) Ankündigung, im Falle einer Großen Koalition in Brandenburg nicht mehr für das Amt als Sozialministerin zur Verfügung zu stehen. Ihr Argument gegen die PDS-Phobien des Westens: die CDU. Die habe als Opposition all jene halbwegs sozialen Maßnahmen torpediert, welche sie jetzt plötzlich im Koaliti-onsvertrag bereitwillig unterschreibt. Klarer Fall mangelnder Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist für Hildbrandt ein heiliges Wort. Außerdem: Für die Christin war einst „die SED der Gegner, doch die Ost-CDU der Feind“. Und auch bei letztere gibt es eine stattliche Anzahl personeller Kontinuität.
Und weil sie so deutlich betonte, dass Bremen nicht Brandenburg sei, dass eine Große Koalition für Bremen durchaus gut sein könne und dass die CDU hier und dort nicht zu vergleichen wäre, tat man es eben doch: vergleichen.
Den lustigsten Satz sagte Hildbardt aber, als es um ihre Stasi-Akten ging. Die habe sie niemals eingesehen. Denn dann hätte sie erfahren, wer sie bespitzelte, hätte sich mit diesen Leuten auseindandersetzen müssen, „und die Zeit dazu habe ich nicht.“ Versöhnung aus Zeitmangel, haha. Ihre Unversöhnlichkeit aber gegen die Linke mit Rechtsdrall kam beim Publikum in der Schauburg erstaunlich gut an. Ergraute ChristInnen und junges Grünvolk nahmen den Erstickungstod in Kauf. Konsequenter Taktier-Verzicht ist vielleicht doch die erfolgreichere Taktik. bk
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