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Hasenfußtaktik gegen volle Hütte

Mit strenger Defensive will Herthas Trainer Jürgen Röber nach dem 0:0 gegen Leverkusen auch weiterhin die Verletzungsmisere bei den Berlinern kompensieren  ■   Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Jürgen Röber ist zwar keiner von denen, die unablässig ein Fußballfeld rauf und runter hetzen müssen, sondern sitzt meist gemütlich am Rand, doch auch ihm sieht man die Belastungen der letzten Wochen an. Richtiggehend erschöpft wirkt der Trainer von Hertha BSC nach dem Einstieg in die europäischen Wochen, von denen seinem Team noch eine ganze Reihe bevorstehen. „Erst das 1:5 in Hamburg, dann Istanbul und jetzt Leverkusen“, bestaunt Röber fast atemlos die Prüfungen der letzten Tage und kann es kaum fassen, dass morgen schon wieder ein Gegner der Spitzenklasse im Olympiastadion erwartet wird: der FC Chelsea in der Champions League.

Röbers Leverkusener Kollege Christoph Daum ist eine derartige Ballung von Topspielen längst gewöhnt. Schalke, Lazio, Hertha, übermorgen der unbequeme Auftritt in Maribor und am Sonntag dann die Partie gegen Sforzas Kaiserslautern? Daum kann da nur müde mit der Schulter zucken – der pure Alltag für den europacup-versierten deutschen Vizemeister.

Was den Zweiten vom Dritten der letzten Bundesligasaison unterscheidet, zeigte sich beim samstäglichen Aufeinandertreffen in Berlin schon an der taktischen Ausrichtung. Bayer Leverkusen ist erstmals mit der klaren Maßgabe gestartet, den Meistertitel zu holen. Keine Rede mehr davon, die beste Mannschaft hinter den Bayern werden zu wollen, und entsprechend geht man inzwischen auch die Auswärtsspiele bei den namhafteren Kontrahenten an. Mit Neuville, Kirsten und Ponte drei Spitzen, unterstützt von einem offensiven Mittelfeld, hinten oft nur Nowotny und Robert Kovac. Kein Zweifel, Daum war auf mehr als einen Punkt aus in Berlin.

Ganz im Gegensatz zu Jürgen Röber, der am Ende begeistert Beifall klatschte, als es zu einem 0:0 gereicht hatte. Seine von einer wahren Verletzungsschwemme heimgesuchte Hertha spielte mit drei Manndeckern, unterstützt von Libero van Burik, und sobald Bayer den Ball hatte, legte sich dicht davor eine Viererkette von Mittelfeldspielern, häufig verstärkt von den Stürmern Preetz und Ali Daei. „Bei der Situation, die wir haben“, erklärte Röber, „muss man auch mal total umdenken und zu Hause defensiv spielen.“

Trotz der Ballung von Abwehrkräften konnten die Gastgeber vor allem in der ersten Halbzeit nicht verhindern, dass Leverkusen fast mühelos in ihren Strafraum eindrang und eine erkleckliche Zahl von Schussmöglichkeiten herausarbeitete. „Gäbe es wie beim Schlittschuhlaufen eine B-Wertung für die künstlerische Leistung“, sagte Daum, „hätten wir die Höchstnote erzielt.“ Warum das nicht zum Sieg gereicht habe, sei „ganz einfach“, fuhr er fort, und weil ihm der Begriff „Killermentalität“ widerstrebt, erfand der wortschöpferisch gesinnte Coach einfach einen neuen Begriff: Die fehlende „Spielentscheidungsmentalität“ sei ursächlich für die missliche Punkteteilung gewesen.

„Im Rückblick kann man sagen, es hat alles funktioniert“, freute sich Röber, dessen Team sich mit fortschreitender Spielzeit immer besser gegen die Bayer-Angriffe stemmte, was auch daran lag, dass der großartige Zé Roberto nach einem üblen Foul mit Verdacht auf Bänderriss im Knie vom Platz musste. Und daran – „ganz einfach“ –, dass Leverkusen „das entscheidende Tor nicht erzielte“ (Daum), denn, so schwant auch Röber: „Wenn du gegen die einen drin hast, kriegst du die Hütte voll.“

Dass den Herthanern ein solches, gerade eine Woche zuvor beim HSV erfahrenes Schicksal diesmal erspart blieb, hatten sie neben der Leverkusener Spielnichtentscheidungsbereitschaft der guten Leistung der Manndecker Herzog (gegen Kirsten), Konstantinidis (gegen Ponte und Brdaric) sowie Schmidt (gegen Neuville) zu verdanken. Den Rest erledigte Keeper Kiraly. Bei den wenigen Kontern im eigenen Stadion hatten Neuendorf (33.) und Aracic (85.) sogar die Führung für die „hervorragend organisierte Hertha“ (Daum) auf dem Fuß. „Der muss den treffen“, ärgerte sich Röber über Aracic, wollte dann aber doch nicht vermessen erscheinen. „Mit dem Punkt sind wir sehr zufrieden.“

Deutlicher lässt sich die Orientierung beider Teams nicht beschreiben. Leverkusen will ganz nach oben, Hertha angesichts der Verletzungen und des europacup-induzierten Dauerstresses vor allem nicht nach unten. „Solange wir personelle Probleme haben, sind wir gezwungen, auf den Gegner zu reagieren“, rechtfertigt Röber sein Vorgehen, womit man wieder beim FC Chelsea war. „Wir müssen auch in den kommenden vier Spielen noch improvisieren“, ließ Manager Dieter Hoeneß anklingen, dass wohl auch morgen die bewährte Hasenfußtaktik zur Anwendung kommen wird.

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