: Uneitel röbern sie sich nach oben
Nach dem disziplinierten 2:1 gegen Chelsea London in der Champions League muss Hertha BSC Berlin nun auch vor den Unterhachingern nicht bange sein ■ Von Rüdiger Barth
Berlin (taz) – Es hatte doch jeder gesehen, das 1:0 von Ali Daei. Diesen Kopfstoß des Iraners, der schon nach drei Minuten den Charakter dieses ersten Champions-League-Spiels im Olympiastadion festzurrte: Chelsea stürmte, Hertha grätschte. „Alis Timing, diese Sprungkraft“, schwärmte Jürgen Röber nach dem Match, „das war schon sehenswert.“ Dabei hob der Trainer der Berliner mitten im Satz die Stimme an, als preise er sein Kopfball-Pfund den Aktiengesellschaften der Premier League an. In der Tat, einer wie Daei fehlte Chelsea an diesem Abend: ein Vollstrecker Hrubesch'schen Formats.
Nach dem 2:1 über das Londoner Starensemble ist Hertha Tabellenführer der Gruppe H. Trotzdem sah Röber nicht fröhlich aus, eher wie einer, der selbst neunzig Minuten lang den Platz umgepflügt hatte: noch eine Stunde nach Abpfiff angespannt bis in die Stirnadern. Herthas Erfolg war der Sieg einer kollektiven Disziplin über individuelle Spielkunst; es war sein Sieg, vermutlich wusste er das. Aber obwohl Röbers Tonfall dem Otto Rehhagels zu ähneln beginnt, schwang kein Triumph in seiner Stimme mit.
Bescheidenheit haben sich alle Herthaner verordnet, doch nicht alle verströmen diese so glaubwürdig wie der Trainer. „Wir sind weiter Außenseiter“, beharrt Röber. „Mit vier Punkten ist noch gar nichts erreicht. Damit wird man am Ende Letzter“, sagt Manager Dieter Hoeneß, nicht ohne zufrieden zu grinsen. Und die 51.500 im Klappsitzrund – eine eher enttäuschende Kulisse – pfiffen nicht und murrten nicht, obwohl ihr Team spielte wie eine Auswärtsmannschaft, oft die Bälle wegdrosch und nicht gerade zielstrebig die Chance zum Kontern suchte. Denn sobald der Ball gewonnen war, atmeten sechs, sieben Herthaner erst einmal durch, während sich Daei und der zaghafte Preetz durchzuwursteln versuchten.
Die Berliner sind also weit davon entfernt, in Europas Fußballelite zu stürmen, sie röbern sich hinein: laufstark, mit zäher Geduld und sehr uneitel. Rauschende Siege, darauf muss sich das Publikum einstellen, wird diese Schildkrötentaktik nicht einbringen. Die demütige Haltung nimmt allen Herthanern gründlich die Lust am gewohnten Übermut. Plötzlich gefallen sie sich als Underdogs, ganz so, als ob der Dritte der Bundesliga gegen den Dritten der Premier League im Grunde keine Chance haben sollte.
Dabei standen trotz der zehn Verletzten auch in der Verlegenheitself der Gastgeber Nationalspieler wie Kiraly, Wosz, Dardai, Sanneh, Preetz und Daei. Nicht zu vergessen der junge Deisler, von dem ja viele nichts weniger verlangen, als dass er bald den deutschen Fußball rettet. So viele Abwehrspieler aber sind derzeit verletzt, und so viele sind müde. Also müssen die verwöhnten Offensivspezialisten „viel arbeiten, vor allem rückwärts“, wie es Röber nennt, wenn Filigranfußballer sich in Schüsse werfen, an Trikots zerren, Bälle wegbolzen. Wosz, Michalke, Sanneh, Dardai und Deisler lieferten pflichtgemäß eine 87-minütige Abwehrschlacht, Röber fand das „sensationell“.
Sein Kollege Gianluca Vialli bemühte sich bei der Pressekonferenz, möglichst ausdruckslos zu gucken, lobte höflich die „harte Arbeit“ der Herthaner und bescheinigte seinem Team, „physisch, taktisch und mental nicht in Form“ gewesen zu sein. Seine kleine Weltauswahl kreiselte, als wäre sie bei einem Benefizspiel: sehr unenglisch, sehr gepflegt, sehr harmlos. Auch wenn Desailly langschrittig abräumte, Deschamps intelligent verteilte und Zola erstaunliche Pirouetten drehte, Chelseas Bemühungen blieben uninspiriert, die stämmigen Hertha-Stopper waren fast immer im Weg. Aber das ist Viallis Stil, er ist ein Trainer in Trapattonis Tradition: vorsichtig, kontrolliert, auf Geistesblitze vertrauend. Das Gegenteil des Kick-and-Rush. „Die Zeit arbeitet für uns“, sagte Vialli zum Abschied, „wir werden uns steigern. Im Fußball geht alles sehr schnell.“ Aber auch sehr schnell vorbei: Ein Drittel der Vorrunde ist gespielt, Chelsea ist nun Letzter, Berlin Erster.
Weil das Röber ja egal ist, will er sich auch noch nicht mit Milan nächste Woche beschäftigen. Das samstägliche Match in Unterhaching bewegt ihn, das fürchterliche, heimmächtige Unterhaching. Also sagt er, als müsse er grundlos Euphorisierte bremsen: „Die Bundesliga ist viel wichtiger, die Champions League ist doch nur das Zubrot.“ Da werden der flinke Rraklli statt Zola und der gefürchtete Straube statt Flo das Tor von Kiraly berennen, „da werden wir wieder viel, viel arbeiten müssen“.
Dass sie das können, weiß man seit Chelsea. Auch Ali Daei habe das endlich begriffen, sagt Röber. Immer nur vorne rumlümmeln, auf Flanken hoffen und dann Allah danken, das gehe nicht. „Jetzt arbeitet er vorbildlich und ist dafür belohnt worden.“ Röber wäre wohl froh, noch mehr Daeis im Kader zu haben: Drei Spiele pro Woche machen ihm scheinbar nichts aus, „der läuft und läuft und läuft“. Und schießt, quasi im Vorübergehen: Tore.
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