Die sechste Milliarde ist bald voll

Die UNO legt ihren Weltbevölkerungsbericht vor: Das Wachstum verlangsamt sich. Wann es zum Stillstand kommt, hängt auch von der Politik ab  ■   Von Patrick Schmelzer

Hamburg (taz) – Es ist ein Datum mit einem dramatischen Hintergrund. Der 12. Oktober dieses Jahres ist von der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen (UNFPA) zum „Tag der sechs Milliarden“ erklärt worden. Dann soll den UN-Berechnungen zufolge der Erdenbürger Nr. 600.000.000 zur Welt kommen, und der Globus wird so viele Menschen tragen wie nie zuvor.

Auf dieses markante Datum hat nun die „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“ (DSW) bei der Vorstellung des jüngsten UNFPA-Berichtes gestern in Berlin hingewiesen. Pro Sekunde würden weltweit drei Babies zur Welt kommen, hieß es. „Die Bewältigung des Bevölkerungswachstums ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Menschheit“, sagte der DSW-Geschäftsführer Hans Fleisch. Das globale Klima, der Zugang zu Ressourcen, die Sicherung der Ernährung und der Gesundheit – alle diese Fragen seien mit der Bevölkerungsfrage verknüpft.

Im Jahr 2050 wird vermutlich ein Viertel der Menschheit unter Wasserknappheit leiden, und ein Großteil der tropischen Wälder wird vernichtet sein, weil überall dort, wo die Geburtenraten hoch sind, die grüne Lunge des Planeten Siedlungen, Straßen und Ackerland zum Opfer fällt. Gleichzeitig erlebt die Welt derzeit ein Artensterben, dessen Ausmaß seit dem Verschwinden der Dinosaurier nicht mehr vorgekommen ist, so eine Studie des Worldwatch Instituts in Washington.

Weltweit sinkt die Getreideproduktion: 1985 hatte sie mit 376 Kilo pro Kopf ihren Höhepunkt, 1995 wurden nur noch 322 Kilo produziert, der niedrigste Wert seit dem Hungerjahr 1974. Zunehmende Erosion sorgt für einen Verlust von Ackerland. Pakistan, Iran, Nigeria und Äthiopien haben beispielsweise zwischen 1960 und 1998 die Hälfte ihres Agrarlandes verloren. Setzt sich das Bevölkerungswachstum dort ungebrochen fort, werden diese Staaten voraussichtlich weitere 60 Prozent ihres jetzigen Ackerlandes verlieren, schätzt eine Studie.

Der globale Trend geht weiter nach oben. Die Menschheit hat sich in diesem Jahrhundert vervierfacht und ist damit schneller gewachsen als je zuvor. 1927 gab es noch zwei Milliarden Erdenbürger, 1974 waren es schon vier, und 1987 gab es den Homo sapiens in fünfmilliardenfacher Ausfertigung.

Derzeit nimmt die Bevölkerung jährlich um rund 78 Millionen Menschen zu, wobei das Wachstum zu über 95 Prozent in den Entwicklungsländern stattfindet. Allein in Asien leben über 60 Prozent der Menschheit.

Doch aus dem Fernen Osten sind bereits einige Erfolge bei der Senkung von Geburtenraten zu vermelden. Während eine thailändische Frau 1970 durchschnittlich 5,6 Kinder zur Welt brachte, waren es 1997 nur noch 1,8 (da sind wir Europäer aber froh! Säzz.). Bei 2,1 Kindern bleibt die Bevölkerung konstant. Afrika kann ebenfalls in einigen Staaten auf kleinere Familien verweisen. Eine Kenianerin gebar 1979 durchschnittlich acht Kinder, heute sind es vier bis fünf Babies.

Insgesamt sind die Geburten in den Entwicklungsländern seit 1969 von durchschnittlich sechs auf drei Kinder pro Frau gesunken, und die jährliche Bevölkerungswachstumsrate ist von zwei auf 1,3 Prozent zurückgegangen. Doch aufgrund der hohen Geburtenraten der Vergangenheit gibt es heute viel mehr Frauen im gebärfähigen Alter. In 62 Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika sind über 40 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre. Wie die Bevölkerung sich weiter entwickelt, wird davon abhängen, für wie viele Kinder sich diese Generation entscheidet.

Schätzungen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 zwischen 7,3 und 10,7 Milliarden Menschen liegen wird. „Die mittlere Variante von 8,9 Milliarden gilt als die wahrscheinlichste“, betont die DSW.

Entscheidend wird sein, wie stark sich das entwicklungspolitische Handeln auf den Bevölkerungsaspekt konzentriert. Auf politischer Ebene wurde die Populationsproblematik erstmals 1994 grundlegend anerkannt. Bei der bislang wichtigsten UN-Bevölkerungskonferenz in Kairo einigten sich 179 Staaten darauf, dass die Stärkung der Rolle von Frauen der beste Weg zur Eindämmung des globalen Menschen-Mehrs sei. „Frauen, die gebildet sind, heiraten durchschnittlich später und bekommen weniger Kinder, die wiederum von ihren Müttern angehalten werden, in die Schule zu gehen, und somit selbst weniger Kinder bekommen“, halten die Vereinten Nationen fest.

Die Stärkung von Erbrechten für Frauen und der Zugang zu Verhütungsmitteln wurden in Kairo ebenso anerkannt. In einem Fünf-Jahres-Plan sollten jährlich 17 Milliarden US-Dollar zur Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms aufgebracht werden. 11,3 Milliarden sollten von den Entwicklungsländern selbst und 5,7 Milliarden von den Geberländern aufgebracht werden. Die Industriestaaten haben bis 1997 allerdings jährlich nur zwei Milliarden US-Dollar beigesteuert – zwei Drittel der vereinbarten Summe.