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Aus einem dunklen Ursprung

Zwischen Hackebeil und Schweinehälfte: Die deutsche Erstaufführung von Kaite O'Reillys „Schlachthaus“ im Gorki-Studio findet im Metzgerhandwerk blutige Welt- und Lebensmetaphern  ■   Von Eva Behrendt

Noch gibt es ihn, doch ist er vom Aussterben bedroht: der Großstadtmetzger mit hauseigenem Schlachtbetrieb, der letzte Einzelkämpfer im Einzelhandel. Aus dem kalten Nass seiner blutigen Profession hat man ihn jetzt auf die beheizte Theaterbühne gezogen. Dort heißt der letzte Fleischer Bulle Rourke, und bevor ihn die Hygieneinspektion, der Tierschutz und vor allem die Supermarktkonkurrenz zur Schlachtbank führen, bäumt er sich ein letztes Mal auf: Er trainiert seinen Lehrling Rory fürs Leistungsschlachten. Eine Prämie im Präzisionstöten, glaubt Bulle, könnte seinen kleinen Laden adeln.

Für das in London uraufgeführte „Schlachthaus“ wurde die britische Autorin Kaite O'Reilly im vergangenen Jahr mit dem Peggy Ramsay Award für neue Stücke ausgezeichnet. O'Reilly stammt selbst aus einem Metzgerhaushalt, weiß also, wovon sie schreibt. Ins Umfeld des schicken Sozialrealismus, dem englische Theaterautoren seit dem Wechsel von Konservativ zu Labour so erfolgreich huldigen, passt „Schlachthaus“ jedoch nur bedingt. Denn zwischen Hackebeil, Schweinehälften und Fleischertheke verhandelt die Familie Rourke eine raunende Kulturphilosophie des Tiere-Tötens: „Ich bin der Henker, das Gegenteil des Schöpfers“, spricht Bulle: „Was wir tun, Rory, ist der Spiegel der Schöpfung. Ich nehme Leben und verwandle es in kaltes Fleisch zurück. Ich haue vertraute Objekte aus einem dunklen Ursprung.“

Von Opferkulten ist die Rede, vom Schlachten als Kunst und Wissenschaft, und umnebelt wird das Ganze von einem so pessimistisch gewendeten Katholizismus, dass einen das kalte Grausen befällt. Vor allem aber lässt sich das Metzgerhandwerk prima als zivilisationskritische Welt- und Lebensmetapher ausschlachten: Die Rourke-Familie zerfleischt sich nämlich selbst im Kampf ums Überleben. Bulle verdrischt seine Frau Breda. Tochter Fin ist nach einer Vergewaltigung schwanger, was niemanden interessiert – und wird zum Ausspülen der Eingeweide abgestellt. Und Bulles Bruder Scully, ein schlitzohriger Tunichtgut, muss schließlich als Sündenbock herhalten.

Die Studiobühne des Maxim-Gorki-Theaters interessiert sich sympathischerweise auch im Jahr nach dem „Next Generation“-Hype für neue britische Dramatik. Die Inszenierung der deutschsprachigen Erstaufführung von „Schlachthaus“ besorgt der junge Regisseur Martin Kloepfer: Im geschmackvoll und mit Liebe zum Original-Detail arrangierten Schlachtraum (Bühne: Elissa Bier) schleudern sich Manfred Meihöfer und Ruth Reinecke, Katja Zinsmeister, Andreas Bisowski und Ulrich Anschütz inbrünstige Salven von Gefühl um die Ohren, während die Blutwurst schwarz vom Teller quillt.

Dabei steigert der Irrsinn sich so langsam und wohldosiert, dass jede Katastrophe berechenbar, das Leiden am Fleische so transparent wie blutleer gerät. Nach soviel solidem Handwerk und zivilem Ekel hilft nur noch eine fette Currywurst. Eva Behrendt

Weitere Aufführungen: 27., 28. und 30. 9., jeweils 20 Uhr, im Studiobühne Maxim-Gorki-Theater, Hinter dem Gießhaus

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