: Scheinselbstständigkeit – Gesetz wird entschärft
■ Kommission will Alleinunternehmer für drei Jahre von Versicherungspflicht befreien
Berlin (taz) – Tausende Alleinunternehmer werden aufatmen, mancher Sozialpolitiker aber mit den Zähnen knirschen: Das seit 1. Januar geltende Gesetz zur Scheinselbstständigkeit wird in großen Teilen wieder eingeschränkt. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission Scheinselbstständigkeit legte gestern in Berlin ihre abschließenden Empfehlungen vor. Ein entsprechender Gesetzentwurf solle so bald als möglich folgen, erklärte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums (BMA).
Laut den Empfehlungen müssen Selbstständige, die keine eigenen Angestellten haben und nur für einen Auftraggeber ackern, die so genannten „arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen“ also, nur noch in Ausnahmefällen zwangsweise in die Rentenversicherung einzahlen. Erst wenn diese Selbstständigen „auf Dauer“ für nur einen Auftraggeber ackerten, sollen sie versicherungspflichtig werden. Der Zeitraum müsse noch präzisiert werden, erklärte eine Sprecherin des BMA. Zeiträume zwischen drei und fünf Jahren waren schon im Gespräch. Arbeitet eine Honorarkraft dann beispielsweise zwei Jahre lang als Lehrkraft nur für eine Musikschule, würden immer noch keine Rentenversicherungsbeiträge fällig.
Für künftige arbeitnehmerähnliche Selbstständige soll laut Kommission ohnehin eine Befreiungsmöglichkeit für drei Jahre von der Rentenversicherungspflicht gelten. Damit sollen auch Existenzgründer, die mit ihrer Einmannfirma für nur einen Auftraggeber schaffen, entlastet werden. Diese Betroffenen müssen auch keine entsprechende eigene Altersvorsorge nachweisen.
Wer jedoch auf Dauer für nur einen Auftraggeber malocht und keine Angestellten hat, muss eine eigene Altersvorsorge, etwa in Form einer Lebensversicherung oder von Aktienfonds, betreiben. Ansonsten werden Beiträge in die Rentenkassen fällig. Der Beitrag zur Altersvorsorge muss so hoch sein wie der gesetzliche Rentenbeitrag, also etwa 20 Prozent vom Bruttoeinkommen erreichen.
Eine weitere wichtige Neuerung: Werden in einem Unternehmen von einem Betriebsprüfer „Scheinselbstständige“ entdeckt, muss die Firma nicht mehr rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Erst vom Zeitpunkt der Feststellung an werden Sozialversicherungsbeiträge fällig. Damit wird vielen Firmen die Angst genommen, im Nachhinein für ihre Auftragnehmer Krankenkassen- und Rentenbeiträge berappen zu müssen.Besonders die Arbeitgeberverbände hatten eine solche Änderung gefordert.
Als „scheinselbstständig“ gelten – im Unterschied zu den „arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen – Erwerbstätige, die drei von fünf Kriterien erfüllen: Sie haben keine eigenen Angestellten, arbeiten nur für einen Auftraggeber, machen das Gleiche wie im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer oder haben vorher als Arbeitnehmer in der Firma das Gleiche getan und dürfen nicht für die Konkurrenz schaffen. Wenn drei von diesen fünf Kriterien zutreffen, können die ermittelnden Prüfer der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) von der Firmenleitung und den Betroffenen weitere Auskünfte verlangen. Erst wenn diese dann Auskünfte verweigern, darf die BfA vermuten, dass es sich hier um einen Scheinselbstständigen handelt. Ab sofort müssen dann Arbeitgeber und Scheinselbstständiger in die Sozialkassen Beiträge einzahlen.
In dem Beschluss der Kommission unter Leitung des ehemaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich, hieß es außerdem, künftig solle ein geregeltes Anfrageverfahren zur Statusklärung eingeführt werden. Dieses Verfahren müsse bei der BfA konzentriert werden.
Nicht betroffen von Betriebsprüfungen der BfA sind Selbstständige, die bei der Künstlersozialkasse (KSK) versichert sind. Hier siebt die KSK selbst an Hand ihrer Aufnahmekriterien Scheinselbstständige aus. Barbara Dribbusch
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