: Gestresst und überfordert
Die 1,2 Millionen Krankenschwestern und -pfleger sind bis heute den Ärzten rechtlich untergeordnet. Pflegeverbände fordern Selbstverwaltung und eine Verbesserung der Ausbildung ■ Von Ole Schulz
Wer schon morgens um 6 Uhr auf der Matte stand und erst um 7 Uhr abends seinen Arbeitsplatz verlassen hat, der will am nächsten Tag bestimmt nicht wieder früh antreten. Krankenschwestern und -pfleger im Schichtwechsel sind solch kurze Nächte gewohnt. Die Nachtruhezeit für die 490.000 Beschäftigten in den kommunalen Krankenhäusern soll sogar auf acht Stunden gekürzt werden, fordern die Arbeitgeber bei den – bisher ergebnislos vertagten – Tarifverhandlungen. Dabei werden die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes von 1996 in den städtischen Kliniken ohnehin ständig unterlaufen, sagt Tobias Schürmann, Verhandlungsführer der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Einzelne Gesundheitsbehörden würden zwar Strafen verhängen – für die Krankenhausträger sei das aber immer noch billiger. Überlange Schichten müssen daher mit entsprechender Freizeit entgolten werden, fordert die DAG.
Immerhin etwa 2.300 Mark nimmt eine ledige, 29-jährige Krankenschwester heute am Ende des Monats netto mit nach Hause. Das sei „gar nicht mehr so schlecht“, meint auch Schürmann – die Arbeitsbedingungen sind dafür aber ziemlich miserabel geblieben. Nach einer neuen Untersuchung sind besonders die Pflegekräfte auf Intensivstationen psychisch überlastet: Sie leiden unter bedrängenden Erinnerungen und Schlafstörungen. Viele hätten nur eingeschränkte Zukunftsperspektiven und könnten ihre Gefühle kaum offen ausdrücken, so die Psychologin Frauke Teegen von der Hamburger Universität.
Insgesamt 1,2 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland als Pfleger – ohne sie würde alles zusammenbrechen. Doch in der Diskussion um die Gesundheitsreform wird zwar viel über die Einkommen der Ärzte geredet, über die berufliche Situation der Schwestern und Pfleger dagegen kaum. Denn ihnen fehlt eine ähnlich lautstarke Lobby wie den Ärzten, die zur Mitgliedschaft in einer Ärztekammer verpflichtet sind. Dagegen hat der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) gerade mal 31.000 Mitglieder, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen (ADS), in der die Wohlfahrtsverbände organisiert sind, nur 10.000 mehr.
Und obwohl inzwischen fast jeder vierte Beschäftigte im Gesundheitswesen im weiteren Sinne pflegerisch tätig ist, sind die Pfegeberufe bis heute rechtlich den Ärzten untergeordnet. Dass viele Krankenschwestern nachweislich noch mit 30 Jahren ihren Beruf wechseln, hängt auch mit dieser starren Hierarchie im deutschen Gesundheitswesen zusammen.
In den letzten Jahren gab es in mehreren Bundesländern Initiativen, eigene Pflegekammern einzuführen. Bislang hatten diese Gesetzesvorschläge aber weder im Saarland oder Berlin noch in Bayern Erfolg. Mit der Einrichtung solcher Kammern auf Landesebene würden die Schwestern und Pfleger nicht nur den akademischen Berufen im Gesundheitswesen gleichgestellt, sondern zugleich auch die Selbstverwaltung für die Pflegeberufe eingeführt. Dann stünden sie nicht mehr unter staatlicher Obhut und könnten die lange überfällige Reform der Pflegeausbildung selbst vorantreiben. Allerdings ist die Institution Kammer auch nicht unumstritten: „Es gibt Widerstände seitens der Gewerkschaften, die Kammern als ein veraltetes Ständerelikt ansehen“, sagt Gisela Wirth, die als ausgebildete Krankenschwester maßgeblich an dem Berliner Entwurf beteiligt war.
Die Pflegeverbände fordern auch eine Vereinheitlichung der Ausbildung und eine Anpassung an die strengeren EU-Richtlinien. Bisher wird die Ausbildung über die Pflegesätze und damit von den Krankenkassen finanziert. Vor allem müsse der berufliche Abschluss mit einer Fachhochschulreife gleichgesetzt werden, um den Pflegern den Einstieg in den tertiären Bildungsweg zu ermöglichen, sagt Ute Herbst, Vorsitzende der ADS. „Staatssekretärin Christa Nickels von den Grünen hat bei einem Treffen mit den Pflegeverbänden im Sommer darauf bestanden, als gelernte Schwester die Reform selbst in die Hand zu nehmen“, so Herbst. Vor dem kommenden Jahr werde sich in dieser Frage aber nichts tun, heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium.
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