Die Bischöfe ziehen den Schein ein

■  Die katholische Amtskirche unterwirft sich dem Papst und verabschiedet sich aus dem staatlichen System der Schwangerenberatung. Einzelne Bischöfe wollen ihre „schweren Bedenken“ noch mal nach Rom tragen

Berlin (taz) – Die katholische Amtskirche wird langfristig keine Beratungsnachweise für die Schwangerenberatung mehr ausstellen. Diese Scheine berechtigen zu einer straffreien Abtreibung innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Karl Lehmann, sagte gestern zum Abschluss der Vollversammlung in Fulda, er könne sich „keine Regelung mit einem Schein“ vorstellen. Es sei jedoch den einzelnen Bischöfen überlassen, wie sie mit der Aufforderung des Papstes umgingen.

Das bedeutet, dass die Bischöfe zumindest für die nächsten Monate gespalten reagieren können: Die bayerischen Bischöfe kündigten gestern bereits an, die Konfliktberatung bis Anfang nächsten Jahres neu zu regeln und sich damit von dem Schein zu verabschieden. Die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) will zügig Laienberatungen aufbauen, die diese Lücke im staatlichen System füllen sollen.

Der Magdeburger Bischof Leo Nowak betonte dagegen, der Rückzug würde von einigen Bischöfen für „nicht richtig“ gehalten. Mehrere Bischöfe wollten dem Papst erneut ihre „schweren Bedenken“ vortragen. Bis zu einer endgültigen Klärung würde die Konfliktberatung in diesen Diözesen weiterhin mit dem jetzt gültigen Schein dokumentiert.

Bundesfrauenministerin Christine Bergmann (SPD) und die Grünen-Abgeordnete Christa Nickels forderten von den Bischöfen eine schnelle und klare Entscheidung. Bergmann kritisierte, Übergangsregelungen bis zu einer endgültigen Entscheidung belasteten und verunsicherten die Frauen, die sich ohnehin in einer schwierigen Situation befänden. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Eichhorn, begrüßte, dass nochmals mit dem Papst Gespräche über die Bedenken gegen den Ausstieg aus der Konfliktberatung geführt werden sollen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) attackierte den Vatikan unterdessen scharf. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz werde daran gehindert, die der gemeinsamen Überzeugung beider großen Kirchen entsprechende Beratungspraxis fortzusetzen, erklärte EKD-Ratsvorsitzender Manfred Kock in Hannover. Der in der katholischen Kirche ausgetragene Streit und sein zu vermutender Ausgang beschädigten insgesamt die kirchliche Verlässlichkeit. Der Deutsche Caritasverband in Freiburg erklärte: „Es erfüllt uns mit Trauer, dass es den Bischöfen nicht gelungen ist, mit dem Heiligen Vater einen gemeinsamen Weg zu finden.“ Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gründete unterdessen in Fulda den Verein Donum Vitae (Geschenk des Lebens), um möglicherweise anstelle der Amtskirche im staatlichen Beratungssystem tätig zu werden. Die Caritas und der Sozialdienst katholischer Frauen unterstützen diese Initiative ausdrücklich. Laut einer Forsa-Umfrage sind übrigens rund 78 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, dass sich die Bischöfe dem Papst widersetzen und im staatlichen Beratungssystem bleiben sollten. Auch unter den Katholiken plädierten 76 Prozent dafür.

Heide Oestreich

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