piwik no script img

„In Berlin werde ich nichts mehr“

Als eine von wenigen Flüchtlingen geht die 21-Jährige Dursime Arbaneshi nach acht Jahren Deutschland-Aufenthalt zurück in das Kosovo. Sie durfte in Berlin kein Abitur machen und arbeitete ehrenamtlich als Dolmetscherin  ■   Von Julia Naumann

Auf einmal ging alles ganz schnell: Nach sieben Jahren des Wartens konnte Dursime Arbaneshi in der vergangenen Woche endlich ihren Koffer packen. Die Ausländerbehörde teilte der 21-Jährigen mit, dass sie innerhalb von nur drei Tagen mit Mutter und Schwester Naslia nach Priština fliegen könne – Dursime Arbaneshi ist eine der wenigen Flüchtlinge, die lange Jahre in Berlin gelebt hat und jetzt freiwillig in das Kosovo zurückkehrt (s. Kasten).

„Der Rückkehrtermin war zwar sehr sehr kurzfristig, aber ich bin froh nach Hause zu kommen“, sagt Dursime Arbaneshi in flüssigem Deutsch. „Nach Hause“ – das kommt der schwarzhaarigen Frau mit der 20er-Jahre-Frisur ohne Zögern über die Lippen, obwohl es ein „Zuhause“ möglicherweise gar nicht mehr gibt. Dursime lebte in Prizren. Dort funktioniert das Telefonnetz nur mangelhaft, Telefonate ins Ausland sind nicht möglich. Deswegen konnte sie nach Kriegsende nur ein einziges Mal mit ihrem Onkel sprechen, der extra dafür nach Priština gefahren war. Der sagte: „Kommt zurück“, doch das Gespräch war so kurz, dass Dursime nicht nach dem Zustand ihres Elternhauses fragen konnte – ob sich dort mittlerweile andere Kosovaren einquartiert haben oder ob es überhaupt noch steht. „Wir fahren völlig ins Ungewisse“, sagt Dursime sichtlich angespannt.

Bereits 1992 flüchtete die siebenköpfige Familie Arbaneshi aus Prizren nach Berlin. Der Vater hatte als Pförtner bei der Post gearbeitet und durfte seit 1990 seinen Job nicht mehr ausüben. Ein Serbe übernahm seinen Posten. Die Mutter, eine Fabrikarbeiterin, verlor 1992 ihre Arbeit. Die damals 14-jährige Dursime durfte die Oberschule nicht besuchen. „Wir hatten keine Chance mehr im Kosovo“, erzählt Dursime rückblickend. Mit dem Bus ging es nach Belgrad und dann mit dem Zug nach Berlin.

In Deutschland angekommen, bekam die Familie wie die meisten anderen Kosovo-Albaner eine Duldung, die alle sechs Monate verlängert wurde. Sie lebten in verschiedenen Flüchtlingsheimen, zuletzt in der Gehrenseestraße in Hohenschönhausen. Dursime ging in die Schule, doch nach dem Hauptschulabschluss war Schluss – das Ausländergesetz erlaubt keinen weiteren Schulbesuch. Für Dursime, die sehr schnell Deutsch lernte, war das eine Katastrophe. „Ich liebe Schule, ich liebe Lernen über alles“, sagt sie auch heute noch sichtlich enttäuscht.

Auch Jobben ist verboten. Die Familie bekam Sozialhilfe. Zwangsweise. Nach dem Hauptschulabschluss bemühte sich Dursime vergeblich um einen Ausbildungsplatz. Das Leben im Heim floss öde und ohne wirklichen Sinn dahin. „Eigentlich saß ich den ganzen Tag vor dem Fernseher“, erinnert sich Dursime schulterzuckend. Doch das sei immer noch besser gewesen, als in das Kosovo zurückzukehren. „Die Serben hätten uns umgebracht“, glaubt sie.

„Arbeit“ bekam Dursime dann während des Kosovo-Krieges im April, als 320 Kontigentflüchtlinge nach Berlin kamen, ein Großteil von ihnen in die Gehrenseestraße. Die „Sozialbetreuerinnen“ des Heimes waren mit den erschöpften und psychisch teilweise labilen Neuankömmlingen überfordert. Dursime half aus, wo sie nur konnte. Weil es keine vom Heim angestellten Dolmetscher gab, vermittelte sie zwischen Flüchtlingen und Betreuerinnen. Sie begleitete die Kosovaren zum Sozialamt und in den Supermarkt. Geld gab es dafür keines. „Ich habe das trotzdem sehr gern gemacht“, sagt sie.

Seit die KFOR in Priština einmarschiert ist, will Dursime zurück, denn ein Leben in Deutschland hat für sie keinen Sinn. Auf dem Sozialamt Mitte hat man ihr in den vergangenen Wochen mehrmals gedroht, die Sozialhilfe zu entziehen, denn einer Rückkehr stehe nach Beendigung des Krieges ja nichts mehr im Wege. „InBerlin kann ich nichts mehr machen, hier werde ich nichts“, resümiert sie. Verbittert klingt das nicht. Eher resignativ. „Die Deutschen wollen nicht, dass wir hier leben und arbeiten.“

Die Frauen der Familie wagen deshalb den Schritt ins Ungewisse: Mit Mutter und Schwester fliegt Dursime zurück. Der Vater, zwei weitere Schwestern und zwei Brüder bleiben erst einmal in Berlin und sollen bald nachkommen. „Wir sind eine demokratische Familie“, sagt sie und grinst.

Dann zupft sie nervös an ihrem Koffer herum, der prall gefüllt ist. Mehr als 20 Kilo Gepäck darf sie nicht zurücknehmen. Ein Großteil des Koffers ist mit Geschenken voll gepackt, nicht mit Kleidung. „Wir können doch nicht mit leeren Händen ankommen. Oder?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen