piwik no script img

Das Ende des urbanen Raums

Zur Jahrtausendwende wird die Hälfte der Weltbevölkerung in Metropolen leben. Sind sie die Laboratorien der Moderne, fragte ein Kongress in Bonn  ■   Von Thomas Machoczek

Mark Leonhard ist Mitte zwanzig, Direktor des Foreign Policy Center in London, Mitglied der Arbeitsgruppe Panel 2000 der britischen Regierung, und so, wie er am Rednerpult steht, smart und offen, ist er außerdem scheinbar ein netter Kerl. Das passt. „Branding Britain“ – über die Kunst, England besser zu vermarkten, will er reden. Darüber, dass Touristen wegen überkommener Riten und trotz zugiger Häuser in sein Land kommen. Darüber, dass London zwar eine Drehscheibe für Finanzen ist, dass sich ein aus britischer Produktion stammender Fernseher aber mit einem japanisch klingenden Namen besser verkauft als mit einem englischen. Und darüber, dass Geri Ginger-Spice-Girl Halliwell trotzdem einen Union Jack auf ihrem Kleid trägt, wie es sich früher nur Punks oder Hooligans getraut hätten.

Nicht von London ist in Leonhards Untersuchung die Rede, sondern von Britannien, und das, obwohl sein Vortrag den Auftakt machte für einen Kongress, der ausschließlich den Metropolen gewidmet war. Sind sie die „Laboratorien der Moderne?“, diese Frage diskutierte das Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen zwei Tage lang an einem Ort, der definitiv keine Metropole ist: in Bonn. Auch das passte irgendwie, denn wenn es ein Resümee der vielschichtigen Diskussionen gibt, so müsste es wohl lauten: Die Metropole ist tot.

Dies gilt umso deutlicher, wenn man die bestehenden Großstädte mit den Metropolen der letzten hundert, zweihundert Jahre vergleicht. Vorbei die Zeiten, als Maler, Dichter, Musiker nach Paris zogen – da mag Paul Nizon in seiner Rede noch so eindringlich seiner französischen Wahlheimat als Geburtshelferin für Kunst und Literatur nachtrauern. Im Bereich der Mode und des Luxus mag man sich an der Seine noch als Zentrum fühlen, aber dies ist schon eine Form von Artenschutz.

Berlin, die Metropole des beginnenden 20. Jahrhunderts, wurde von den Nazis missbraucht, dann zerstückelt und hat diesen Ruf entsprechend eingebüßt. Jeder Versuch, die zweifellos pulsierende Stadt erneut zum Zentrum neuer dramatischer Entwicklung aufzuplustern, müsste nicht nur am Widerstand Hamburgs und Münchens und der Medienmetropole Köln scheitern. Und: „Nichts ist lächerlicher“, so der Duisburger Wirtschafts- und Sozialgeograph Hans Heinrich Blotevogel, „als eine Region, die sich als Metropole postuliert und es nicht ist.“

Die paradigmatische große Nachfolgemetropole ist nirgends in Sicht, denn dafür, das machte der Kongress deutlich, fehlen längst die Maßstäbe. Die historische Bedeutung, die man für Paris noch mehr als für Berlin benennen könnte, hat ihre Gültigkeit verloren. Auch die schlichte Größe ist kein Argument. Dann nämlich hätte man São Paulo und Mexiko-Stadt nicht ausklammern dürfen; und in Deutschland wäre das Ruhrgebiet mit seinen mehr als fünf Millionen Menschen die unbestreitbare Metropole – was aber auch in Castrop-Rauxel oder Wattenscheid in gesunder Selbsteinschätzung niemand ernsthaft behaupten würde.

Am Beispiel der Stadt New York, die noch am ehesten mit diesem Etikett in Verbindung gebracht wird, zeigt sich zwar, dass auch große Städte noch zu gestalten sind und sich nicht völlig ins Chaos verflüchtigen. Das Resultat freilich gefällt nicht. Mit eiserner Hand wurde dort in wenigen Jahren ein so genannter krimineller Sumpf trocken gelegt, aus dem angeblich die meisten der dort lebenden Menschen am liebsten weggezogen wären. Auf dem neu gewonnenen Grund wurde ein künstlicher Hort von Sauberkeit und Unterhaltung errichtet. Das Ergebnis ist nun eine Art Hochsicherheitstrakt, in dem nun eine Zweizimmerwohnung 8.000 Mark Miete kostet und die Hispanics in den Hudson gedrängt werden.

Erstmalig taucht damit die Metropole als ein Ort auf, der nicht mehr unumwunden als Modell dient. Wo man vielleicht zum Shopping hinfährt, wenn man die richtige Kreditkarte besitzt, wo man aber auch damit rechnen muss, mit 41 Schüssen niedergestreckt zu werden – wenn man als Nicht-Weißer der Behörde nicht schnell genug die Türe öffnet. Für die Offenheit gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen, traditionsreiches Kriterium der Metropolen von einst, ist hier kein Platz. Mögen viele der Amerikaner auch gerne dort hin ziehen wollen – auf dem Kongress war wenig Gegenliebe für eine solches Modell auszumachen.

Hier und da klangen zaghaft Trends und Alternativen an: Florian Rötzer, Macher des Online-Magazins Telepolis, erzählte, er sei von München nach Niederbayern gezogen, weil die virtuelle Stadt die reale Stadt längst überflüssig mache und den Unterschied zwischen Stadt und Land in Zukunft wohl ganz verwischen werde. Singles, erklärte der Soziologe Klaus Ronneburger im Gegenzug, ziehen mehrheitlich wieder in die Städte zurück, um ihre Einsamkeit dort gemeinsam zu erleben. Ein einheitliches Metropolenmodell? Fehlanzeige.

Netzwerke ersetzen Zentren, „Komplexitätsempfindlichkeit“ ist gefordert, wie der Essener Philosoph Norbert Bolz formuliert. Die einzige Konstante hat wohl Richard Sennett herausgefiltert, der als Kritiker des vom neuen Kapitalismus geformten „flexiblen Menschen“ bekannt wurde: eine neue Form der Entfremdung. Fand Entfremdung früher in der Trennung von Produktion und Regeneration statt, so ist sich heute auch die Arbeit selbst entfremdet. Die Aufgaben und Probleme sind bis zur Unkenntlichkeit flexibel. Heute hast du diesen Job, morgen jenen, und deine Einflussmöglichkeiten darauf sind gering. Mit den Orten verhält es sich nicht anders. „Wir können unsere Firma auch von einem Schiff aus führen“: Wo sollen da Verbindlichkeit und soziale Ethik noch Platz finden, fragt Sennett spitz.

„Welche Probleme als die drängendsten empfunden werden, welche Lösungen als die beispielhaftesten, welche Sehnsüchte und Hoffnungen sich als die dominanten erweisen – das alles ist zur Zeit unklar, und deshalb gibt es auch keine Metropole der Gegenwart“, schließt aus alledem der Berliner Soziologe Hartmut Häußermann. Und wenn es doch eine geben sollte, dann müsste sie eben erfunden werden. Mark Leonhard und lange vor ihm Fritz Lang haben gezeigt, wie so was geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen