: Eichhörnchenmelodram in den rumänischen Karpaten
Es ist sieben Uhr früh, irgendwo in den rumänischen Karpaten. Harald Zerbes steht früh auf. So hat er noch ein wenig Zeit, mit der Flinte in den Wald zu gehen und vielleicht ein paar Wildschweine aufzustöbern, die sich wieder an den Aufforstungen zu schaffen machen. Harald Zebres ist Leiter des Forstamtes Tirgu Muges. Ihm unterstehen zahlreiche Forstbrigadiere, Förster und einfache Werktätige der Arbeitskolonnen. 14.700 Hektar groß ist sein Revier in der hügeliegen, grün dominierten Landschaft. Hundert verschiedene Baumarten stehen unter seinem Oberbefehl.
Heute hat er den neuen Holzungsplan für das nächste Jahr bekommen. Viel wird gefällt werden müssen. Aber zuvor muss er sich noch um Arbeiten an der Plantage mit Schwarzföhren in Voiniceni kümmern, die einzige in Rumänien und eine von nur drei in Europa. Auf dieses Kleinod ist der diplomierte Forstwirt ganz besonders stolz. „Hier zeigt sich mal wieder die ganze Überlegenheit unseres Systems“, sagt er.
Um fünf Uhr nachmittags macht sich Zerbes mit seinem grünen Lada-Kombi auf die Heimfahrt. Zu Hause wirft er einen Blick ins Fernsehprogramm der deutschsprachigen Karpaten-Rundschau. Um sieben kommen die Nachrichten, die wird er sich nach dem Essen sicher noch anschauen. Ein Tag wie jeder andere, dieser 9. November 1989 in der osteuropäischen Provinz. Wie so oft bleibt er nach dem Abendessen noch vor dem Apparat hängen. Eine Sondersendung über den XIV. Parteitag der Kommunistischen Partei Rumäniens erwärmt sein Herz, das natürlich links schlägt, so wie es sich gehört. „Die Einigkeit von Wissenschaft und Arbeiterklasse“ wird da gepriesen. „Genau, schließlich hab' ich auch studiert“, denkt sich der Forstwissenschaftler, als Sohn einer Fabrikarbeiterin hat er es bis nach oben geschafft.
Und als er gerade ausschalten wollten, bleibt er doch noch im Sessel hängen. „Weine nicht Eichhörnchen“ beginnt, ein tschechoslowakischer Farbfilm. Bernd Dörries
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