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Sie meinen es gut mit den Menschen

Bald kommt der Winter. Man wird länger schlafen, weniger reden und besser ins Leere grübeln können. Und die neue CD der Vermoosten Vløten hören – mit Liedern über Rebellen und Raumstationen   ■  Von Susanne Messmer

Bei Aldi schreien einen schon wieder die Lebkuchenherzen an. Im Briefkasten lauert die Werbung vom Kohlenmann. Und während man noch krampfhaft die Reiseverkäufer nervt, wohin es jetztschnell noch hingehen könnte, um dem drohenden Winter in Berlin zu entgehen, steht da eine neue CD in den Läden, die alles verändern wird. Die ersten somnambulen Klänge des neuen Albums der Vermoosten Vløten mit dem lustigen Namen „Ngongo“ schleichen durchs Zimmer, und schon fügt er sich sachte ins nächste halbe Winterjahr, der verschreckte Winterhasser. Und es tut gar nicht weh, denn Winter bedeutet plötzlich auch: länger schlafen, weniger reden, besser ins Leere grübeln können, wo man sich schließlich auskennt. Und dazu die Traummusik der Vermoosten Vløten, ganz für diesen Dämmerzustand gemacht, in dem nichts mehr unbewusst geschieht, wo man aber auch noch all die blöden Bilder zulässt, gegen die man sich wach wehren würde. Die Vermoosten Vløten sind schon seit acht Jahren eine Beste-Freundinnen-Band. Hannie Bluum und Libôjah Shnukki, so ihre etwas albernen Künstlernamen, treffen sich seit acht Jahren im Proberaum, geben seit acht Jahren Konzerte in der Stadt und auch anderswo: Als hätte wer sie gezwungen, machen sie auf der Bühne reservierte Gesichter, und sehen eigentlich aus wie die ersten weiblichen   Dandys  der  Welt. Ihr Image ist existenzialistisch und spaßig gleichzeitig, auf dem Cover der übrigens großartig gestalteten CD laufen sie in schwarzen Rollis mit zwei Elefantenbabys einen Büroflur runter: eine Anspielung auf die absurden „Nashörner“ von Eugène Ionesco und den Safarifilm Hatari für sonntagsnachmittags – mitsamt seinem fabelhaften Soundtrack von Easy-Listening-Übervater Henry Mancine. Über ihren größten Einfluss, Velvet Underground, eine Musik, die sie inzwischen kaum noch hören, braucht man auch nicht mehr zu schreiben: Jeder kann ihn raushören, jeder kann aber auch mehr hören, wenn er will – zum Beispiel auch Textzitate von David Bowie.

Die neue Platte der Vermoosten Vløten, es ist ihre zweite, ist unterkühlt und herzerweichend zugleich. Ihre Songs, die von Seemannsgräbern, wilden Romanzen mit Rebellen oder einer Raumstation handeln, sind total reduziert und skizzenhaft. Weil ja jeder weiß, dass man die Seele eines Songs oft nur ganz nebenbei einfängt: Durch die Badtür, wenn ihn eine Freundin nachpfeift, im Radio des übernächsten Autos an der roten Ampel – oder ganz am Anfang, wenn er noch nicht fertig ist und nur so als Idee durch den Raum schwirrt. Die Vermoosten Vløten schaffen das Kunststück, lauter Kinderinstrumente vom Flohmarkt zu benutzen, ohne in die für Berliner Musik so typische, trendige Jugend- oder Wohnzimmer-Atmosphäre reinzurutschen. Mit solcher Infantilisierung haben die Vløten nichts am Hut. Libôjah: „Wir wissen sehr genau, was wir wollen, und haben sehr hart gearbeitet an diesem Album.“

Ihre Musik ist zutiefst sehnsüchtig, traurig, mondän und humorvoll, aber ganz genau gestrickt, mal elektronisch, mal akustisch, Hauptsache roh. Nie geht sie so richtig los, dafür gibt sie den schönsten Melodien dieses Herbstes ein Zuhause. Und Authentizität gibt es nur augenzwinkernd: „Sie meinen es gut mit den Menschen“, meint das Presseinfo von Flittchen Records, das sich mit dem Album der Vermoosten Vløten – der fünften Veröffentlichung des Labels – bestimmt keinen Kassenschlager ins Haus geholt hat. Dafür aber einen Regionalverbund: Wie die Ex-Lassie-Singers Klotz und Rösinger kommen Hannie und Libôjah, wenn auch nicht aus Baden, so doch aus Bayern. Eine Süddeutschland-Connection urbanisierter Provinzdamen mitten in Berlin, und – what a sensation! – Hannie hatte sogar mal Zitherunterricht.

Auf ihrem Album können die Vløten mit einem ganzen Haufen netter Gäste glänzen: Françoise Cactus hat ihnen einen Songtext ins Französische übersetzt. Zwei Songs hat Franz Schütte von Jeans Team und Art Of Kissing durch eigenes Geklimper verschönt und mit produziert. Ein Cover stammt im Original von Greg Davis, der bei den Dead Hippies das Banjo entdeckte und später bei der Cowboy-Punk-Band Blood on the Saddle nicht weniger schnell Gitarre spielte. Bei einem Cover vom kürzlich verstorbenen Bruder Nikki Suddens, Epic Soundtracks, spielt Kunstlehrer Jowe Head, der einst bei den verflossenen Swell Maps experimentierte, Bass – und der unvermeidliche Nikki Sudden Gitarre: „Vielleicht kannst du ausnahmsweise mal nichts über Nikki Sudden schreiben. Er ist ein guter Freund von uns, wir arbeiten viel zusammen, aber deshalb sind wir doch nicht seine Groupies.“

Die zwei Lieblingslieder auf ihrer neuen Platte heißen „True Love“ und „Rebel Rebel“. Das eine ist eine Ode an Daniel Johnston, „den man einfach lieben muss“, meint Libôjah. Das andere hat ihnen Herman Halb eingespielt, dieser Kreuzberger „Vollblutmusiker“, der dabei war, als die Lassie Singers ihre schönsten Songs geschrieben haben. „Rebel Rebel“ erinnert im Gitarrenspiel an Guantanamera – nur dass in Kuba niemand in der Lage wäre, die Hüften so langsam zu schwingen. Vorsichtig tastet sich der Rhythmus an der Gitarre lang und dazu singen die beiden im Duo: „Rebels rebel, they smoke cigars, drive fast cars, play guitars. We love them. Very, very very, very.“

Record-Release-Party am 2. 10. ab 21 Uhr im Bastard (Prater, Kastanienallee) mit Gastmusikern und Überraschungen

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