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Kicker um Leben und Tod

■ In Hamburg wieder einmal – da laufen nun Sebastian Schippers „Absolute Giganten“ zu voller Form auf. Doch sie sind schlicht gut

Da werden die magischen Momente der Jungsfreundschaft wie nebenbei ins Bild gerückt

Die Typen machen einen Mordskrach. Ricco, Floyd und Walter sitzen in ihrem aufgemotzten Ford-Granada, und aus dem Porsche auf der anderen Spur grinst sie auffordernd so ein Schnösel an. Die drei Freunde geben Gas und hängen den Affen ab, jedenfalls bis der vollkommen überdimensionierte Motor absäuft. Die drei sind „absolute Giganten“, zumindest für ein paar Sekunden. Sebastian Schippers gleichnamiges Regiedebüt ist voll von diesen Momenten, in denen die Helden derart über sich hinauswachsen. Die Geschichte handelt von Abschied und Initiation, und wie das in solchen Filmen eben ist, wird der Alltag zum Abenteuerspielplatz. Ein Tischfußballturnier kann da schon mal über Leben und Tod entscheiden.

Doch der Reihe nach: Ricco, Walter und Floyd wohnen in einer Hochhaussiedlung in Hamburg-Langenfelde. Jeder hängt einem Traum nach. Ricco will Rapper werden, schiebt zur Zeit jedoch noch unter den herrischen Anweisungen seines Chefs Burger auf den Grill. Walter schweißt und schraubt an seinem Granada, der irgendwann mal die heißeste Rennmaschine am Ort sein soll. Und Floyd weiß eigentlich gar nicht, was sein Traum ist, aber eines ganz genau: Diese Stadt kann es nicht sein. Nur eine Bewährungsfrist hält ihn in Hamburg. Als die abgelaufen ist, verkündet er seinen Freunden, dass er morgen auf einem Schiff anheuern werde. Dann ziehen die drei los, in die letzte gemeinsame Nacht, legen sich mit einer Truppe von Elvis-Stuntmännern an, besiegen den Kickerkönig der Stadt und fahren den Granada zu Schrott.

Schipper bewegt sich auf einem schmalen Grat. Die Vorstadtkneipe, in der die Freunde normalerweise ihr trostloses Dasein fristen, heißt „Crazy Horst“, und natürlich hängen darin hässliche Panorama-Tapeten. Die Verfolgungsjagd führt durch die Röhren des Alten Elbtunnels, auch das ist wenig originell. Und dann wird der Hamburg-müde Held auch noch mit dem Frachter abhauen. Alles so echt hier, alles so pittoresk!

Dass Schipper noch einmal sattsam bekannte Motive dieser beinahe kaputt gefilmten Stadt aufgreifen kann und dabei meist am Klischee vorbeischrammt, verdankt er vor allem seinen Schauspielern. Die sind ein bisschen wie die Helden, die sie verkörpern: Sie wachsen über sich hinaus oder zumindest über die Vorstellung, die man bislang über sie hatte. Ihre Visagen sind aus etlichen TV-Produktionen bekannt, ihre Namen indes kaum. Frank Giering etwa, der den von Fernweh geplagten Melancholiker Floyd verkörpert, ist ansonsten dazu verdammt, immer wieder den juvenilen Delinquenten zu geben. Florian Lukas, hier der rhetorisch schon mal abschmierende Möchtegern-Rapper, wird standardmäßig als unterernährter Schwachkopp eingesetzt. Und Walter-Darsteller Antoine Monot jr. gibt sonst den gemütlichen Dicken.

Aber auch Kameramann Frank Griebe ist es verdanken, dass der Film nicht zur wohlfeilen Hamburgensie geraten ist. Sein Umgang mit Licht ist enorm; da werden die magischen Momente der Jungsfreundschaft wie nebenbei ins Bild gesetzt. Die Grünflächen vor den Wohnsilos in Langenfelde leuchten schon mal paradiesisch, und wenn die Sonne vor dem Balkon im zehnten Stock untergeht, scheint die Zeit stehen zu bleiben. Die Silhouetten des Trios verharren in der gleichen Position, während sich der Himmel verdunkelt. Der Zeitraffereffekt ist äußerst wirkungsvoll platziert und denkbar einfach produziert.

Nur 2,5 Millionen Mark kostete der von Tom Tykwer, Stefan Arndt und deren Firma X Filme („Lola rennt“) produzierte „Absolute Giganten“. Da lohnt sich der Vergleich mit Rainer Kaufmanns um einiges teureren Hamburg-Krimi „Long Hello And Short Goodbye“, der kürzlich startete. Obwohl Setting und Farbgestaltung beider Filme zum Teil identisch ist, werden bei Kaufmann die Menschen vom Dekor verschluckt während Schippers Figuren ihre Persönlichkeit erst vor dem gleichsam kostenneutralen Hintergrund von Hochhausambiente und Neonstrahlern zur vollen Entfaltung bringen.

Wenn doch einmal in „Absolute Giganten“ produktionstechnisch geklotzt wird, dann aus narrativer Notwendigkeit. So gehört das Duell mit dem Kickerchampion Snake (Jochen Nickel) zu einer der denkwürdigsten Szenen der jüngeren deutschen Filmgeschichte. Da schnellt die Kamera mit dem Ball durch die Spielfiguren, und wenn die drei geborenen Verlierer am Ende im Close-up die Toranzeige auf Sieg rücken, ist er da, dieser magische Moment, von dem Floyd seinen Kumpels vorschwärmt und den er zuletzt als Kind erlebt hatte, als er zu Silvester eine Wunderkerze vor seiner Nase schwenkte und so die ganze Welt zu erleuchten glaubte. In solchen Augenblicken ist das Leben ausnahmsweise gigantisch, in solchen Momenten werden Hosenscheißer zu Überhelden. Und dazu wurde das Kino ja auch erfunden. Christian Buß

„Absolute Giganten“. Regie: Sebastian Schipper. Mit Frank Giering, Florian Lukas, Antoine Monot jr. und Julia Hummer, D 1999, 81 Min.

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