piwik no script img

Die politischen Bastionen sind sturmreif“

■ taz-Serie über Einzelbewerber bei der Abgeordnetenhauswahl (Folge 1): Die parteilose Charlottenburgerin Nadia Rouhani hat gute Chancen, per Erststimme ins Landesparlament zu kommen

Erst waren es die Vierbeiner, mit denen sie vor einem Jahr weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt wurde. Damals verteilte Nadia Rouhani zusammen mit einer Bürgerinitiative äußerst medienwirksam tausend volle Windeln rund um den Lietzensee, um gegen den Hundekot zu Felde zu ziehen. Nun sind es die Zweibeiner, die ihr zu weit größerem Ruhm verhelfen könnten. Die 36-Jährige will erstmals in der Nachkriegsgeschichte als parteilose Direktkandidatin per Erststimme ins Abgeordnetenhaus einziehen.

Ihre Chancen, von den etwa 33.000 Wahlberechtigten im Wahlkreis 4 in Charlottenburg die nötigen 7.000 Erststimmen zu bekommen, sind wahrlich nicht schlecht. .Da ist zum einen der professionelle Wahlkampf, den die gelernte Fernsehjournalistin macht, die vor der Geburt ihrer zwei Kinder im ARD-Fernsehstudio in Moskau arbeitete: Sie hat 7.000 Mark aus ihrer Lebensversicherung in Briefwurfsendungen („Für Charlottenburg ins Abgeordnetenhaus: Nadia Rouhani. Die sagt was. Die wagt was.“) und Plakate („Die tut was!“ und „stark & unabhängig“) gesteckt – beziehungsweise von ihren 150 aktiven Wahlhelfern stecken lassen. Fast alle 2.000 Haushalte in ihrem Wahlkreis müssten also mit ihrem Namen etwas anfangen können.

Und dann bekommt Nadia Rouhani noch Schützenhilfe von der FAZ. Nachdem diese vor wenigen Wochen ein riesiges Porträt über Rouhani veröffentlichte („Traum einer jeden Partei. Gut aussehend, gebildet, einsatzfreudig, erfolgsorientiert und kommunikationsfreudig“), legte gestern an gleicher Stelle die ehemalige Ausländerbeauftragte der FDP nach. Cornelia Schmalz-Jacobsen schrieb, dass sie der Kandidatin wegen ihres „enormen inhaltlichen Engagements“ ihre Erststimme geben werde.

Dazu kommt, dass im Wahlkreis 4 zwischen Lietzensee, Schlossstraße, Adenauerplatz und Knobelsdorffstraße keiner der Konkurrenten von den anderen Parteien einen sicheren Listenplatz hat. Genug Grund für Rouhani also, sich siegessicher zu geben: „Ich bin bürgernah und beanspruche, das zu schaffen.“ Damit sie sich auf ihren Wahlkampf konzentrieren kann, kümmern sich derzeit ihr Ehemann und ihr Vater verstärkt um die 2- und 4-jährigen Kinder.

Wer Nadia Rouhani auf die Hinterlassenschaften von Vierbeinern und Frauengespräche im Park reduziert, der irrt sich. Natürlich kämpft sie weiter für eine Verschärfung der Berliner Hundeverordnung. Doch das sieht sie nur als konsequente Fortführung eines begonnenen Themas. Sie will Lobbyarbeit für Familien machen, „damit Familienpolitik kein Ladenhüter bleibt“. Und sie will sich für Charlottenburg engagieren, wo sie seit fünf Jahren lebt. Wer ihr seine Erststimme gibt, dem verspricht sie eine Verschönerung des Stuttgarter Platzes. Den Plänen der Trigon GmbH, dort ein dreistöckiges Einzelhandels- und Dienstleistungszentrum und ein 18-stöckiges Hotel zu errichten, will sie mit Stadtplanern und Architekten aus dem Kiez einen eigenen Entwurf entgegensetzen.

Rouhani will „der Exekutive auf die Füße treten“. Sagt sie Sätze wie „Ich bin eine von Euch und für Euch“ oder „Mich interessiert, was den Leuten unter den Nägeln brennt“, glaubt man es ihr. Das muss an der Vehemenz liegen, mit der sie davon redet, dass „die politischen Bastionen in Berlin sturmreif sind“. Ihr selbst brennt vieles unter den Nägeln. Sichtbar wird das am Nagel ihres rechten Daumens, den sie sich irgendwann in den ereignisreichen Tagen der Wahlvorbereitung lädiert hat, ohne zu wissen wie und wann.

Gänzliches Neuland ist die Politik nicht für Rouhani. Nach ihrer Rückkehr aus Moskau trat sie 1994 bei den Grünen ein. Doch einen Tag vor Ablauf der Anmeldefrist für die Abgeordnetenhauswahl trat sie aus, weil der Charlottenburger Ortsverband sie nicht als Direktkandidatin aufstellen wollte. „Es wäre zu dämlich, eine Frau wie mich gehen zu lassen“, sagt sie. Wahrscheinlich hat sie Recht. B. Bollwahn de Paez Casanova

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen