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Wenige Daten, aber hohe Strahlenbelastungen

Gutachten: Grenzwertüberschreitungen durch kontaminierte Atommülltransporte wahrscheinlich  ■   Aus Bremen Bettina Dannheim

Haben die radioaktiven Partikel von der Oberfläche kontaminierter Atomtransportbehälter die Bevölkerung und das Transportpersonal gefährdet? Das Hessische Umweltministerium, damals vor der Landtagswahl noch auf Ausstiegskurs, wollte es 1998 genauer wissen und beauftragte das Darmstädter Öko-Institut mit einem Gutachten, in welchem untersucht werden sollte, ob die kontaminierten Transportbehälter und Eisenbahnwaggons zu einer grenzwertüberschreitenden Strahlenbelastung der Bevölkerung und des Personals geführt haben.

Schnell kamen die Gutachter zu dem Schluß, dass sie dies gar nicht ermitteln können, die vorhandenen Daten reichen für eine so umfassende Fragestellung nicht aus. Es wurde beschlossen, aus den verfügbaren Messwerten radioaktive Partikel auszuwählen und zu unterstellen, diese hätten sich von der Behälteroberfläche gelöst und einzelne Personen hätten Hautkontakt mit diesen Partikeln gehabt, sie verschluckt oder eingeatmet. Die sich über diese Belastungspfade ergebende Strahlenbelastung Einzelner sollte Aufschluss über mögliche Grenzwertüberschreitungen geben.

Es wurde errechnet, was viele schon lange ahnten: Angenommen, Kleinkinder wären mit dem ausgewählten radioaktiven Partikel in Kontakt gekommen und hätten es verschluckt, ist nach Berechnung der Gutachter eine hohe Gesundheitsgefährdung anzunehmen. Der zulässige Grenzwert der effektiven Äquivalentdosis wäre nach gültiger Strahlenschutzverordnung um das 22-fache überschritten worden, der Grenzwert für die Dosis des roten Knochenmarks um das 20-fache.Der Hautdosisgrenzwert wäre bei Kindern wie bei Erwachsenen nach einem Anhaften des ausgesuchten radioaktiven Partikels über 4 Stunden um das 170-fache überschritten worden, nach 24 Stunden bereits um das 1.000-fache.

Für die erwachsene Bevölkerung und nicht beruflich strahlenbelastete Personen, zu denen auch das Bahnpersonal und die Transportbegleiter gehören, hätte sich laut dem Gutachten durch das Verschlucken des Referenzpartikels eine Überschreitung des Grenzwerts der effektiven Äquivalentdosis um das 2-fache ergeben. Überschreitungen ergaben sich sogar bei einer Anwendung der Euratom-Richtlinie 96/29, die als Strahlenschutznorm bis Mai 2000 europaweit in nationales Recht umzusetzen ist.

Ein starker Wind von vorn für die PreussenElektra, die noch vor wenigen Tagen beim Bundesumweltminister nachfragte, ob es nicht möglich sei, den internationalen Grenzwert für Außenkontaminationen künftig überschreiten zu dürfen, da der Wert von 4 Becquerel pro Quadratzentimeter ihrer Meinung nach auch zukünftig nicht einzuhalten sei (taz vom 27. September). Ein wütend stimmendes Ergebnis für all diejenigen, denen bis heute wider besseren Wissens vorgegaukelt wird, Beunruhigungen oder Angst entbehrten jeder Grundlage und wären „völlig aus der Luft gegriffen“.

Öko-Institut Freiburg, „Potenzielle Strahlenexposition für Bevölkerung und Begleitpersonal durch die Beförderung abgebrannter Brennelemente in äußerlich kontaminierten Behältern“.

Die Autorin ist Mitglied in der regierungsunabhängigen Gesellschaft für Strahlenschutz.

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