Zwischen den Rillen
: Velvet Tigerentenclub

■ Altsäcke unterschiedlicher Abgehangenheit: Tom Jones und Lee Hazlewood

Er macht's seit 35 Jahren in der Öffentlichkeit. Tom Jones ist der älteste Tiger der Welt, und spätestens seit seinem Comeback mit „Kiss“, produziert 1988 von The Art of Noise, finden das auch Nicht-Hausfrauen aus der Nicht-Mittelklasse. Dass seine neue CD „Reload“ heißt, ist schon anzüglich genug, dass er sie immer noch alle haben kann und will, versucht er jedem Duettpartner der Platte zu beweisen. Sie gehen unterschiedlich damit um, über den Daumen gepeilt gilt: Wer sowieso uncool ist, auf den färbt der Tiger nur seine schlechten (trashigen, peinlichen, dickbäuchigen, Las-Vegas-)Eigenschaften ab, wer sowieso swingt, swingt auch mit ihm.

Zum Beispiel Natalie Imbruglia. Hat sich aus lokalpatriotischen Gründen „Never tear us apart“ von INXS ausgeguckt und kommt mit ihrer Kleines-Mädchen-mit-großen-Augen-in-böser-Welt-Stimme nicht die Bohne gegen den Tiger an. Sein Schweiß hat mehr Soul als dieser Song. Dagegen der Höhepunkt des 17-Track-Albums: Space und der Tiger singen „Sunny Afternoon“ von den Kinks. Und zwar elegant-lazy, so hintergründig produziert, mit aufregenden Breaks, schmalzigen Bläsersätzen und lieblichen, kleinen, perlenden Orgelmelodien. Cerys Matthews von Catatonia darf auf „Reload“ auch mit dem schmutzigen, alten Mann verkehren, in „Baby it's cold outside“ von Ray Charles sind Cerys und Tom so sexy, wie eine englische Hipster-Indie-Queen und ein mehr als doppelt so alter Tiger nur sein können. Portishead kommen gleich zweimal vor, Jones, wie bei jedem Stück kurz vorm Platzen (aber das macht wohl seinen Appeal aus), singt eine grandiose Coverversion von „All mine“ zusammen mit Divine Comedy.

Kein Wunder, dass die Spex ihn hasst. Und irgendwie auch liebt. „Den Uncoolnessrekord 1999“ stelle das Tom-Jones-Cardigans-Video von Talking Heads' „Burning down the house“ auf, überlegten zwei Spex-Autoren und haben leider Recht: Jones in knalligem Computerpop-Umfeld, fernab von Las-Vegas-Spießigkeit und Brustimplantaten 66-jähriger Fruitcakes wirkt so deplatziert und bemüht wie die Toten Hosen auf der Love Parade. Noch ein Wort zu James Dean Bradfield von The Manic Street Preachers und Van Morrison. Morrison und Jones werden von einer Kitsch-E-Piano-Folk-Grässlichkeitswelle ertränkt, alte Männer, die betrunken Geschichten von traurigen Lieben erzählen wollen, aber nicht über Selbstmitleid hinauskommen. Bradfield und Jones haben dagegen in Elvis' „I'm Left, You're Right, She's Gone“ einen zauberhaften Effekt aufeinander: Jones bringt den Freddie-Mercury-Anteil in Bradfield zum Erblühen. Und Bradfield holt eine Art trotziger Streifen-Röhrenhosen-Rockigkeit aus Jones, dem Glitzeranzug-Entertainer, heraus.

Apropos alte Männer. Von denen gibt es im Spiegel mehr als genug, und darum freut sich das Hamburger Blatt, wenn andere alte Männer sich versammeln und Scotch trinkend und Zigarren schmauchend vor sich hin jazzen. Das tut nämlich Lee Hazlewood auf seiner neuen CD „Farmisht, Flatulence, Origami, Arf!!! and me ...“, an der das Beste der Titel ist. Sophisticated Hazlewood, der seit den 50ern dabei ist, der Phil Spector gesagt hat, wo's langgeht und wo der Beatles-Hammer hängt, der die kleine Nancy in Minirock und weißen Stiefelchen mit seiner rauchigen Bariton-Stimme in den schönsten, psychedelischsten Duetten der 60er begleitet hat, „Some Velvet Morning“, „Sand“, „Sugar Town“. Jetzt ist Hazlewood alt, sehr alt. Die elf Jazz-Standards der CD loungen belanglos vor sich hin, dass es nur so eine Art ist. Die Stimme ist dieselbe, aber in den schlimmsten Momenten, bei „I can't get started“, hat die begleitende Al-Casey-Combo künstliche Keyboard-Strings in den Hintergrund gelegt, und so verlaufen die wundervollen Stücke („Honeysuckle Rose“, „Makin' Whoopee“) in einer freundlichen Tabakrauchwolke der Mittelmäßigkeit. Vielleicht kann man die CD älteren Verwandten schenken, vielleicht kann man sie sogar mal sonntagnachmittags verkatert zum Baden hören, wenn jeder lautere, kompliziertere Ton schmerzen würde, bestimmt läuft sie in den Vorhallenbars von teuren, spießigen Vier-Sterne-Hotels, in denen Geschäftemänner unter Kronleuchtern und neben weißen Flügeln loungen. Aber aufregend ist sie nicht. Um mit Werner Enke („Nicht fummeln, Liebling“) zu sprechen: ausgebufft und abgelascht. Der ganze alte Schwung ist hin. Jenni Zylka

Tom Jones: „Reload“ (V 2)

Lee Hazlewood: „Farmisht, Flatulence, Origami, Arf!!! and me“ (Strangeways)