: Authentizität als Rollenspiel: Die belgische Pop- und Mode-Performance „Kung Fu: Best of“ auf Kampnagel
„Versuchen sie es mal mit einem Trick“, steht auf dem dünnen Papierstreifen, der sich im Innern eines chinesischen Glückskekses befindet. Wenn zur Spielzeiteröffnung asiatische Lebensweisheiten als Beigabe zur Eintrittskarte an alle erwartungsgeladenen Zuschauer ausgehändigt werden, kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen. Zumindest für den heutigen Abend.
Diejenigen, die sich an Alain Platels Bernadetje erinnern, das vor einem Jahr auf Kampnagel zu sehen war, sind in stiller Vorfreude, denn Kung Fu: Best of ist ebenfalls eine Produktion des belgisches Theaterzentrum Victoria, das ohne festes Ensemble und mit wechselnden Regisseuren vornehmlich mit Jugendlichen seine Stücke erarbeitet. Kung Fu: Best of ist eine Modenschau. Allerdings keine, die teuere Designerware zur Schau stellt. 33 Jugendliche präsentieren ihre Sorgen, Nöte, Ängste, Freuden, Vorlieben und besonders all das, was ihren Alltag ausmacht. Nach dem altbewährten Warhol-Prinzip dürfen die „ganz normalen Menschen“ wieder zum Star werden – wenn auch nur für wenige Minuten. Weil sie etwas zu sagen haben, ihre eigene empfindliche Haut zur Schau stellen. Mit dem Ergebnis, die ganze Palette einer gesamplelten Kulturgeschichte der letzten zwanzig Jahre in Windeseile vorüberziehen zu sehen. Das was leichthin mit „Kult“ zusammengefasst wird, erscheint hier in voller Blüte. Dabei jedoch nicht etwa ironisch dis-tanziert, sondern ernst und von ganzem Herzen. Somit findet das Gezeigte seine direkte Anbindung an ein Subjekt, das meint was es sagt, auch wenn es vielleicht gelogen ist.
Wahrheit und Authentizität werden zum gekonnten Rollenspiel, obwohl, oder vielleicht gerade weil keiner der jungen Darsteller je eine Schauspielschule besucht hat. Und das genau macht die Produktionen von Viktoria zu einem so uneitlen Theaterereignis. Wenn eine der jungen Frauen in glasklarer Stimme Whitney Houstens „I will always love you“ singt und dazu die Liebesszene aus Bad Lieutenant auf eine Leinwand projiziert wird, oder ein junger Mann seine Gedanken zum Sterben preisgibt, wird klar, dass scheinbar wirklich alles geht, solange eine Haltung deutlich wird. Und dessen kann sich jeder Zuschauer sicher sein. Kung Fu: Best of ist kein modisches Poptheater, sondern ein Theaterabend, der nach Verbindlichkeiten sucht, die sich in gemeinsamen Erfahrungen ausdrücken lassen. Und eine scheinen die Menschen, die anschließend auf die Bühne geholt werden, um die große Party zu feiern, offensichtlich zu teilen. Zu Basement Jaxx Sommerhit singen alle leise mit: „And the music keeps on playing on and on.“
Treffender ließ sich dieser Eröffnungsabend wohl kaum beschreiben.Claude Jansen
heute, Kampnagel, 20 Uhr
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