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betr.: Atomunfall in Tokaimura
Nur wenige Tage sind seit der Schreckensnachricht aus Japan vergangen – und schon läuft das hier zu Lande gewohnte Ritual ab. „Unfallabläufe wie jetzt in Japan sind bei uns nicht möglich“, hört man, und: „Es ist erstaunlich, wie schlecht die Japaner auf ein solches Ereignis vorbereitet waren – nicht einmal Jodtabletten hatten sie!“ [...] Und ein Vertreter der Atomwirtschaft fügt gereizt hinzu: „Ein Ausstieg nur aus rein politischen Gründen kommt überhaupt nicht in Frage!“
Nun wollen wir gern glauben, dass ein derart leichtfertiger Umgang mit Uran wie jetzt in Japan bei uns tatsächlich ausgeschlossen ist. Dessen ungeachtet sind auch in unseren Atomkraftwerken Unfallabläufe denkbar und möglich, deren Folgen die des Unfalls von Tschernobyl noch weit übersteigen! Nach Feststellung eines deutschen Gerichtes müsste bei einem solchen Unfall ein Areal im Umkreis von 30 Kilometern innerhalb weniger Stunden evakuiert werden. Auf Stade bezogen schlösse das fast ganz Hamburg mit ein. Dass eine solche Maßnahme ganz undurchführbar ist, liegt auf der Hand.
Aber auch für weniger schwere Unfälle ist die Vorsorge bei uns kaum anders als in Japan. In einem Merkblatt, das vor einigen Jahren an alle Haushalte im Landkreis Stade verteilt wurde, hieß es, man solle sich dann in geschlossenen Räumen aufhalten und die Fenster nicht öffnen. Jodtabletten würden im Wahllokal ausgegeben. Dass diese beiden Anweisungen einander widersprechen, scheint niemandem – nicht einmal den Verfassern des Merkblattes – aufgefallen zu sein, und es zeigt, wie wenig ernst man die Vorsorge nimmt. Es gibt aber auch weit und breit kein Wahllokal, in dem Jodtabletten vorrätig wären. Sollen die Tabletten etwa dann erst angeliefert werden? Wer wird sie bringen und wann? Jodtabletten schützen vor der Aufnahme von radioaktivem Jod nur dann, wenn sie rechtzeitig vor Eintreffen der radioaktiven Wolke eingenommen werden; danach sind sie absolut wirkungslos. Sie nutzen auch nur gegen radioaktives Jod; gegen alle anderen Radiosiotope, wie zum Beispiel Kalium, Kalzium, Tritium, Strontium, Plutonium und viele andere mehr gibt es keinen Schutz.
Verräterisch ist auch die Sprache! Man spricht nicht von einem „Unfall“, sondern von einem „Störfall“ – und verrät damit, dass man eher an die Störung des gewinnträchtigen Betriebsablaufes denkt als an die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen.
Die Betreiber der Atomkraft sollten endlich lernen, dass weite Teile der Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomenergie nicht „aus rein politischen Gründen“ fordern, sondern um unserer aller Sicherheit und um der Zukunft unserer Kinder willen. Ulrich Uffrecht, Buxtehude
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