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19 ehemalige Zwangsarbeiter zurück in Bremen

■ 50 Jahre nach Ende des Krieges besucht eine kleine Gruppe aus der Ukraine die Orte ihres Leidens

Zwei Tage Fahrt dauerte die Fahrt nach Bremen. Zwei Tage, um sich auf die Stätte der Qualen vorzubereiten, die sie nach mehr als 50 Jahren wiedersehen wollten. 19 ehemalige Gastarbeiter aus der Ukraine kamen am Sonntagabend zurück in die Hansestadt. Auf Einladung des Senats werden sie acht Tage lang in Bremen bleiben und zu den ehemaligen Lagerstätten und Arbeitslagern zurückfahren.

Eine schwere Fahrt, die sich viele gewünscht hatten, um „zur Ruhe zu kommen, und das noch einmal aufzuarbeiten“, sagt Hartmut Müller vom Staatsarchiv. Schon als der Bus am Flughafen vorbeifuhr, wurde es still, erzählt eine Mitarbeiterin des Vereins „Walerjan Wrobel“, der die Ukrainer hier betreut. Erinnerungen an den Militärflughafen und Focke wurden wach. Die ersten Straßenschilder tauchten auf – Ortsnamen, wo früher Lagerstätten waren.

„Kaum verheilte Wunden werden wieder schmerzen oder erneut aufbrechen,“ sagte gestern Abend Hilde Adolf beim Empfang im Rathaus: „Aber unsere Hoffnung ist, dass Sie heute in der Begegnung mit BremerInnen erfahren, dass die Bürger dieser Stadt heute anders denken.“

Auch an den ersten Reisestationen war man bemüht, „ein ganz anderes Bremen“ zu zeigen, sagte zum Beispiel Volkhart Broening vom Krankenhaus St. Jürgen. Zwei der Ukrainer hatten die Bunker auf dem Krankenhausgelände mitgebaut – für sie war das das erste Wiedersehen mit der früheren Arbeitsstätte. Die beiden erzählten am Bunker von der Arbeit. 50-Kilo-Säcke Zement mussten die damals 14-, 15-jährigen Jungen schleppen. Baumaterial für zwei Meter dicke Wände. Viele Meter hoch.

„Früher“ erzählen sie, „gab es nur schlechtes Essen: Wasser und Brot.“ Bei Luftalarm wurde weitergearbeitet. Nur ein einziges Mal durften sie selber im Bunker Schutz suchen.

Gestern stand auch eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. Eine Fahrt durch eine Stadt, die die meisten kaum kennen: Zwar haben sie Jahre hier geschuftet. Aber nur ein einziger von ihnen stand schon einmal auf dem Rathausplatz – nach der Befreiung. Ostarbeiter durften ihre Lager nicht verlassen, erklärt Müller. Die meisten kannten von Bremen nur das Lager und den Weg vom Lager zur Arbeit.

Thema für die ehemaligen Zwangsarbeiter waren auch die Entschädigungen. Geld hatten die Ostarbeiter nie gesehen. Keinen Arbeitslohn, keine Entschädigung. Heute brauchen sie einen Arbeitsnachweis, um wenigstens eine Rente zu kriegen.

Die Reise wird aus dem Hilfsfond für ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa bezahlt. 25.000 Mark haben Bremer Betriebe dafür gesponsert. Die gleiche Summe hat das Sozialressort noch einmal draufgelegt, um auch in Zukunft ehemalige Zwangsarbeiter nach Bremen zu holen. pipe

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