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Leichenteile in der Wüste des Realen

Models zu Bombenwerfern: Bret Easton Ellis wütet gegen die „Glamorama“-Welt  ■   Von Harald Fricke

Die amerikanische Ausgabe ist in „Electra“ gesetzt. Die von dem Grafiker William Addison Wiggins entworfene Schrifttype wurde 1935 durch die Mergenthaler Linotype Company eingeführt. Sie gilt als besonders unauffällig, ist weder „modern“ noch „old style“ und vermeidet extreme Bögen ebenso wie Kontraste zwischen dick und dünn. Das wichtigste aber ist: Sie lenkt nicht vom Lesen ab, wie der Alfred A. Knopf Verlag auf der letzten Seite von Bret Easton Ellis' „Glamorama“ erklärt, sondern gibt ein Gefühl „von Flüssigkeit, Kraft und Geschwindigkeit“.

Wer das alles wissen will? Bret Easton Ellis, vermutlich. Er liebt solche Details. Als er 1991 in „American Psycho“ die Wohnung des Börsenmaklers und Massenmörders Pat Bateman beschrieb, brauchte Ellis an die hundert Seiten, um all die Markennamen bis hin zur Verarbeitung von Armani-Anzügen aufzulisten. Das ist nicht weniger langwierig als später die Schilderung von Prostituierten, die Bateman mit der Bohrmaschine ausweidet.

Ob Sex, Gewalt, Dresscodes oder Labels, die Welt von Bret Easton Ellis ordnet sich streng nach ihren Produkten: Zwischen bestialischem Mord und der Begeisterung für Dekor gibt es bei ihm keinen Unterschied. Alles ist Ausdruck einer vom Konsum getragenen Gesellschaft und also gleich gültig. Ständig fühlt man sich in ein Szenario aus lauter leeren Zeichen versetzt, als hätte Ellis das Schreibprogramm seines Computers mit „der Wüste des Realen“ aus einem Baudrillard-Buch gefüttert. Deshalb gilt der heute 25-Jährige seit der Veröffentlichung von „American Psycho“ als das große Monster unter den Schriftstellern.

Auch „Glamorama“ lebt von der Nähe zu den Dingen – und vom Terror der Intimität, den die unentwegte Abfolge dieser mikroskopisch genau abgescannten Oberflächen beim Leser erzeugt. So erfährt man im ersten Teil, wie ein jugendliches Werbemodel namens Victor Ward mit seinem Kompagnon einen Club in New York eröffnet und am Abend der Premierenparty in einem Desaster aus Sexaffären und Intrigen untergeht. Man erfährt zudem, wie viel Arbeit in schöne Körper investiert werden muss und dass die Modenschauen für alle Beteiligten eine ziemlich anstrengende Sache sind. Ansonsten werden unentwegt ellenlange Gästelisten heruntergebetet, allerlei Getränke und ein paar neue Drogen ausprobiert und zu guter Letzt weiß man auch noch, wie sich eine Scheide von innen anfühlt und fremder Leute Spucke im Gesicht.

Für den immerhin 270 Seiten langen Einstieg ins Clubland braucht Ellis keine Erklärungen. Die Menschen handeln nach einem Muster, das mit der Aneinanderreihung Subjekt – Prädikat – Objekt auskommt. Immer macht irgendwer irgendwas, das nie in Frage gestellt wird, weil es eben geschieht. Ohnehin kann sich Victor kaum erinnern, was Sekunden vorher erst passiert ist. Wozu auch? Schließlich sind die meiste Zeit Kameras dabei, die sein Leben als Erweiterung des Laufstegs aufzeichnen wie eine MTV-Episode aus „Real World“. Victor jedenfalls genügt als Devise „Je besser man ausschaut, desto mehr sieht man“, damit sein Blick stets von außen auf sich selbst gerichtet bleiben kann.

Weil aber Narzissmus nicht abendfüllend ist, hat Ellis „Glamorama“ wie schon „American Psycho“ mit hartem Sex und einiger Gewalt unterlegt. Wieder müssen Frauen bluten und wieder fliegen Leichenteile durch die Luft. Damit ihn diese Masche nicht in die Trashecke katapultiert, behauptet er in Interviews gern, dass der Zynismus seiner Romane von einem Gefühl der Abneigung herrührt, die er gegenüber dem Geschilderten empfindet. Das Monster, so war zuletzt in der Zeit zu lesen, ist ein Moralist und edel die Entfremdung. Bei Ellis kommt diese Moral ironisch gewendet als sadistische Befreiungsorgie daher: Plötzlich werden schöne Models zu Terroristen, die aus Verzweiflung über strenge Diätpläne und die Etikette des Glamours Bomben in U-Bahnen und Luxus-Hotels legen. Das allerdings wäre eine sehr einfache Therapie, die man auch schon ganz gut von Charles Manson kennt.

Tatsächlich arbeitet sich Ellis mit „Glamorama“ vor allem am Phantasma eines total flexibilisierten Ich ab. In seiner Warenform ist Victor austauschbar, doch gerade diese Austauschbarkeit nimmt ihm im Verlauf des Buches immer mehr an Wert. Bei den Terroraktionen des Modelführers Bobby Hughes ist er nicht mehr als ein Handlanger, für eine Gruppe politischer Verschwörer darf er als das hübsche Kind eines erfolgversprechenden Senators sein Gesicht hinhalten. Er wird verwechselt, gedemütigt, missbraucht, ausgebeutet und weiß zuletzt selbst nicht mehr, ob er nicht doch ein anderer ist als der, der in einem nach Scheiße stinkenden Zimmer an einer Reihe von Exekutionen teilnimmt.

Erst ganz am Ende des Romans erfährt man, woher die Statik und Enge rührt, mit der Ellis seinen Erzähler Victor durch ein dermaßen trostloses Leben ziehen lässt: „Am Rande der Tränen – weil ich mit der Tatsache konfrontiert war, dass wir in einer Welt lebten, wo Schönheit als Leistung galt – drehte ich mich weg und gab mir selber das Versprechen: härter zu sein, ungerührt cool.“

Für Ellis ist dieser Selbstentwurf das große Missverständnis seiner Generation. Dafür lässt er Victor in „Glamorama“ zahlen – und verdient daran nicht schlecht. „American Psycho“ brachte ihm 300.000 Dollar Vorschuss ein, verkaufte sich einige Millionen Mal und wird zur Zeit auch noch verfilmt. „Glamorama“ dürfte ähnlich erfolgreich werden. Auch in Hollywood. Immerhin liest sich das Original schon wie ein Drehbuch für Ewan McGregor und Uma Thurman in den Hauptrollen.

Bret Easton Ellis: „Glamorama“. Übersetzt von Joachim Kalka. Kiepenheuer und Witsch 1999. 679 Seiten. 49,90 DM

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