:
Schwergängige Begriffe ■ Von Dietrich zur Nedden
Aus gutem Grund ist die Welt rund. Und aus einem noch besseren Grund reimt sich Geld auf Welt. Was schon Lichtenberg auffiel, dem jedoch erspart blieb, erleben zu müssen, was manche heute an der Millenniumsschwellung mit Worten anstellen. Mit dem Wort Sphäre zum Beispiel.
Sphäre heißt laut Wörterbuch „Kugel, Himmelskugel, Kreis, Gesichtskreis, Bereich“. Ein eher und an sich unschuldiges Wort, aber es findet sich ja immer jemand, der dafür sorgt, dass das nicht so bleibt. Peter „Dolly“ Sloterdijk wird seine Gründe dafür gehabt haben, sein Opus magnum „Sphären“ zu nennen. Aber als er den Titel endlich gefunden hatte, fehlten ihm noch Untertitel für den ersten Band (644 Seiten mit 16 Abbildungen) und sogar für den zweiten (1.013 Seiten mit zahlreichen Abbildungen). Wie so oft war eine Kneipe der Ort der letztgültigen Inspiration. Eine „Kindl“-Kneipe in Berlin, genauer gesagt, wo Sloterdijk einen Mann, der just seine Zeche bezahlt hatte, seufzen hörte: „ Ick möchte globen, ick lass ma heut noch een' blasen.“ Sloterdijk, alles andere als elitär gesinnt, übernahm den Schnack, drehte die Reihenfolge um, damit auch ein geistiger Mehrwert entstünde, und nannte das erste Buch „Blasen“ und das zweite „Globen“. Damit es aber des wissenschaftlichen Anstrichs nicht ermangelte, knallte er noch die schwergängigeren Begriffe Mikrosphärologie respektive Makrosphärologie in die Unterzeile.
Sloterdijk dachte, das würde schon reichen, um in die Schwerdenker- oder Sphär-Denker-Charts zu kommen. Doch seltsam matt klang das Echo auf sein massives Werk nach. „Na und“, dachte der Meisterdenker, „dann haue ich eben im Sommer auf Schloss Elmau noch einen raus.“ Was aus diesem Vorsatz wurde, ist hinreichend bekannt und soll hier nicht weiter debattiert werden.
Dass einer unserer führenden Trendgurus, niemand anderes als Matthias Horx, aber nun auf Sloterdijks „Sphären“-Radau noch einen drauf setzt, eine Multisphärologie reinsten Trenddenkens sozusagen, ist der Öffentlichkeit bis dato entgangen. Sein neues Buch im Signum Verlag nennt er „Die acht Sphären der Zukunft“. Es ist nichts weniger als ein „Wegweiser in die Kultur des 21. Jahrhunderts“. So zugeknöpft wie Horx‘ blütenweißes Hemd auf dem Autorenporträtfoto, so offen ist der Kreis, den die grafisch angedeuteten sphärischen Kugeln auf dem Buchumschlag bilden, wenn nicht gar formen. Aber irgend etwas fehlte noch, um ein wegweisendes Future-Design zu installieren. Was nur? Ohne Binnenmajuskel, dachte Horx, geht heute natürlich sowieso nichts und morgen, also übermorgen im 21. Jahrhundert erst recht nicht. So dass er beginnen konnte: neben der MindSphere kreist links die BodySphere und rechts die KnowledgeSphere, der sich die TechnoSphere und die ConsumerSphere anschließen, gefolgt von der EconoSphere und der PolitoSphere. Blieb das letzte Stühlchen noch frei, und darauf setzte Horx die SozioSphere.
Den spheren Hirnschaden, den diese Aufzählung automatisch vermuten lässt, können wir leider nicht mehr rückgängig machen. Vielleicht aber lindern. In einem der Höllenkreise, die Dante vor etlichen Hundert Jahren in weiser Voraussicht eingerichtet und beschrieben hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen